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uni'leben 04/2011 - Uni Freiburg

Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de von Rimma Gerenstein Gefahr, Geheimnis, Abenteuer: Mit solchen Wörtern beginnen sagenhafte Geschichten, Märchen von Helden, die Drachen erlegen und gülden gelockte Prinzessinnen aus Türmen befreien. Mit solchen Wör­ tern beginnt aber auch eine Wande­ rung. Genauer: ein 400 Höhen­meter steiler Aufstieg durch den Wald Zweribach, etwa 20 Kilometer östlich von Freiburg. Eine „Zeitreise“, nicht mehr und nicht weniger, verspricht die zweieinhalb Meter hohe Stele am Eingang zum Wald – und zwar gleich auf Deutsch, Englisch und Französisch. Der dreieckige Auf­ steller ist einer von mehr als 50, die im ganzen Kandelbergland verteilt sind – dem Stück Südschwarzwald, das die Täler von Waldkirch, Simons­ wald, St. Peter und Glottertal ein­ kreisen. Kandel mit Charakter Die Hexe Kandela, pfiffig gezeich­ nete Hausdame des Kandelbergs, präsentiert auf jeder Stele Ge­ schichten: von mystischen Kräuter­ sammlern und Skipionieren, von Bauern, die einst an den felsigen Abhängen Hütten bauten, von Kräf­ ten, die einen Berg verschwinden lassen können oder von so starker erneuerbarer Energie, dass sie eine ganze Fabrik mit Strom versor­ gen kann. Das sind die Themen, die den Charakter dieser Gegend ausmachen. Und den zu ermitteln war gar nicht so leicht. 2006 haben die Freiburger Geografinnen Monika Nethe und Anna Chatel gemeinsam mit dem Landratsamt Emmendingen und den umliegenden Gemeinden das Projekt „Kandel – Berg der Kräf­ te“ gestartet. Was ist das Einzig­ artige am Kandel? Was haben sei­ ne Bewohnerinnen und Bewohner über ihr Leben auf dem Land und über ihre Vorfahren zu berich­ ten? Wie lässt sich das Ge­ birge für Touristinnen und Touristen ­attraktiver gestal­ ten, damit sie nicht nur den Schauinsland auf ihre Reiseroute setzen? „Der Kan­del ist von der Rheinebene her gese­ hen so markant“, ­erzählt Nethe. „Mit seinen 1.250 Me­ tern ist er ist der dritthöchste im Süd­ schwarzwald und sein steiler Auf­ stieg wie ein rich­ tiger Alpenpass.“ Und er stecke vol­ ler Geheimnisse, die man beim Wandern und Spa­ zieren entdecken könne. Das gilt auch für den Wald Zweribach. Ein Blick in das dunkle, kühle Grün, wo der 40 Meter hohe Wasserfall herunterdonnert, verrät: Da scheint einiges verborgen zu sein – zwischen Tannen und ­Buchen, zwischen Steinbrocken, über denen dicke Moosteppiche wachsen, und Baumstämmen, die auf dem Boden brach liegen. Flie­ gen summen um Walderdbeer­ sträucher, Wasser gurgelt zwi­ schen den Steinspalten, ab und zu kraxeln ein paar Wanderer mit Nordic Walking Stöcken den ­felsigen Weg zur Platte hoch, einer Ebene auf knapp 1.000 Höhenmetern, wo ein Windrad neben dem anderen aus der Erde ragt. „Der Zweribach ist nur zu Fuß erreich­ bar“, sagt Monika Nethe. „So stellt man sich doch ei­ gentlich einen richti­ gen Märchenwald vor.“ Unberührte Natur – wären da nicht Zei­ chen, die auf Zivili­ sation ver­weisen, auf Menschen, die einst im Zweribach siedelten: Mitten an dem Felshang türmen sich verwit­ terte Steine zu einer kleinen Mauer – die Überbleibsel des ehemaligen Heidenschlosses, in dem Anfang des 20. Jahrhunderts Tagelöhner lebten. „Wir möchten auf solche Spuren aufmerksam machen und zeigen, was für eine bewegte ­Geschichte der Wald hinter sich hat“, erzählt die Geografin. Seit 41 Jahren ist der Zweribach ein ­Naturschutzgebiet, auf 80 Hektar soll ein so genannter Bannwald ge­ deihen – ein „Urwald“ ohne den Eingriff von Förstern, die zum ­Beispiel vom Sturm ausgerissene Baumstämme wegkarren. Jahr­ hundertelang wurde das Gebiet gerodet, diente Bauern aus der ­Gegend und Mönchen des Klosters St. Peter als wichtige Einnahme­ quelle. „Wenn man bedenkt, dass nur noch kümmerliche Reste vom Wald zurückgeblieben waren, ist es unglaublich, in welch kurzer Zeit er sich wieder so gut regenerieren konnte“, sagt Nethe. Die Natur kämpft sich zurück, erobert sich ihren Platz, „wenn man sie nur lässt“. Freie Wahl im wilden Wald Für „Kandel – Berg der Kräfte“ ha­ben die Freiburger Geografinnen nicht nur vor Ort recherchiert, son­ dern auch neueste Forschungs­ artikel durchgearbeitet, um daraus allgemein verständliche Texte für die Stelen zu schreiben. Unter­ stützt wurden sie von ihren Studie­ renden, die im Rahmen eines Se­ minars am Projekt beteiligt waren. Vor allem die Zusammenarbeit mit Menschen, deren Familien seit mehreren Generationen in dem Gebiet wohnen, habe Monika ­Nethe und Anna Chatel dabei ­geholfen, „wahre und authentische Geschichten zu sammeln, die nicht in Büchern stehen“. Besucherorientierte Interpreta­ tion heißt die Methode, mit der die Wissenschaftlerinnen das Kandel­ bergland erschlossen haben. Im Gegensatz zu Lehrpfaden, die oft nur Fakten vermitteln, werden die Besucher über Geschichten an Wissenswertes herangeführt. Ob auf der Suche nach mittelalter­ lichen Spuren durch den Urgraben, bei einem gemütlichen Spazier­ gang auf der asphaltierten Platte oder beim Aufstieg durch den wil­ den Zweribachwald: Die Stelen so­ wie drei Broschüren informieren über die Themen Vegetation und Forstwirtschaft, Geologie, Land­ wirtschaft, Sport, Bergbau, Mythen oder regenerative Energie. Der Weg durch den Zweribach gehört zu den anstrengendsten Routen auf dem Kandel, aber auch zu den geheimnisvollsten. Da mar­ schiert auch eine 100-köpfige ­Truppe Pfadfinder gerne durch den Wald, klettert über Steinbrocken und wuchtige Wurzeln, hangelt sich an der Leine entlang, die den Wasserfall umsäumt. Zugegeben: Einen Drachen werden die Jungs im Gestrüpp nicht finden. Aber viel­ leicht wartet oben eine Prinzessin. 04 2011 Geforscht: Woher stammen Sprichwörter? >S.7 Gefragt: Wie steht es um Kirche und Katholizismus? >S.3 Gefunden: Was lockt Touristen nach Freiburg? > S.4 Kräfte auf dem Kandel Baum an Baum, grün an grün: Für diesen Ausblick nimmt man auch den 400 Meter steilen Aufstieg über Stock und Stein durch den Zweribach in Kauf. Foto: Kunz Zwei Freiburger Geografinnen haben im Südschwarzwald ein Tourismusprojekt gestartet – ein guter Grund, sich die Wanderschuhe anzuziehen FOTO: Natis/Fotolia Mit Hut, Katze und Humor: Hexe Kandela erzählt Geschich­ ten über das Leben auf dem Kandel. Zeichnung: Schaps www.kandelbergland.de