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uni'leben 03-2015

03 2015 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 5forschen von Ulla Bettge Die Nachricht erreichte Dr. Benoît Sittler und sein Polarforschungs- team von der Professur für Landes- pflege der Universität Freiburg per E-Mail: Die Hütte auf der Insel Traill im Nordosten Grönlands war von Eis- bären aufgebrochen worden – wie schon im Jahr zuvor. „In früheren Jahrzehnten ist das nie vorgekom- men“, sagt Sittler, der seit 28 Jahren jeweils von Juni bis Mitte August mit seinem Team in der Hütte an seinem Langzeitforschungsprojekt „Karupelv Valley“ arbeitet. Früher erlegten die Bären ihre Beute – zum Beispiel Rob- ben – auf dem Packeis, das nun durch die Klimaerwärmung rar gewor- den ist. Das zwingt die Bären dazu, sich an Land neue Nahrungsquellen zu suchen. Sittler und sein Team haben he- rausgefunden: In Kolonien nistende Gänse und Enten dienen als nahrhaf- te und leichte Ersatzbeute. „Die Vö- gel fliehen vor den Bären und lassen Eier oder Küken ungeschützt in den Nestern zurück.“ Bis zu 90 Prozent der Gelege werden vernichtet. Was dies langfristig für die Vogelpopu- lationen bedeutet, ist unklar. „Es ist denkbar, dass die Vögel auf weiter abgelegene Inseln ausweichen, die für Eisbären nicht zugänglich sind.“ Finanzierung über Feldpost Schon vor den Expeditionen ist der Aufwand hoch. Da ist der Papierkram mit grönländischen Behörden, Versi- cherungen und der Charterfluggesell- schaft. Hinzu kommen Kontakte mit Sponsoren, die Trockennahrung, Sü- ßigkeiten, Schlaf- und Rucksäcke so- wie Bergstiefel spenden. Das macht Sittler zufolge circa zehn Prozent des jährlichen Gesamtbudgets von 40.000 bis 50.000 Euro aus. Davon werden 80 Prozent für die An- und Abflüge ausgegeben. Umso wichti- ger sind Briefmarkensammlerinnen und -sammler sowie Feldpostfans, die den Forscherinnen und Forschern seit dem Projektstart treu geblieben sind. Weit mehr als tausend von ihnen be- stellen alljährlich Briefe zum Preis von zwölf Euro je Umschlag, die sie frankiert, gestempelt und vom For- schungsteam handsigniert aus Grön- land zugeschickt bekommen. „Das bringt uns fast die Hälfte des Budgets ein, und wir sind die beste und zuver- lässigste Kundschaft für die grönlän- dische Post.“ Mit dem Geld werden unter ande- rem Satellitensender aus den USA zur Langzeitbeobachtung von Schneeeu- len finanziert. Ob sich das weiterhin lohnt, ist ungewiss. Ein im Sommer 2012 mit einem Sender bestücktes Tier wurde bis Januar 2015 immer wie- der im kanadischen Sommerquartier Ellesmere und in Grönland geortet. Aber auf Traill hat das Team seit zwei Jahren keine Schneeeule mehr ge- sichtet. Der Grund ist wohl ebenfalls die Klimaerwärmung. „Früher hatten wir wegen Schneemassen oft Proble- me, mit dem Kleinflugzeug zu landen. Jetzt ist Anfang Juni meistens alles weggetaut“, sagt Sittler. Das hat Fol- gen, zum Beispiel für die Lemminge, die Beutetiere der Schneeeulen, die sich vor allem unter einer geschlos- senen Schneedecke fortpflanzen. „In manchen Jahren bekommen wir so gut wie keine Lemminge zu Gesicht. Spitzenjahre mit bis zu 4.000 Winter- nestern gehören der Vergangenheit an.“ Mit dem Selbstmord-Mythos hat das Team aber aufgeräumt: „Wir ha- ben in 27 Jahren Feldforschung kei- nen einzigen Lemming beobachtet, der sich ins Meer stürzt.“ Eine Hütte wird zum Bunker Die größten Auswirkungen auf den Forschungsalltag jedoch haben die nahrungssuchenden Eisbären. „Aus der Hütte ist ein Festungsbunker ge- worden: mit Elektrozaun, Alarmminen, Leuchtkugeln und Pfefferspray.“ Nachts weckt der Lärm eines in den Vorrats- kisten wühlenden Bären die Teammit- glieder, tagsüber bleiben die Forscher an ihren Einsatzplätzen über Funk in Kontakt. Besondere Vorsicht ist gebo- ten, wenn die Tiere nach erfolgreicher Futtersuche immer wiederkommen – 2014 etwa eine Bärin mit ihren beiden Jungen. Dennoch sind die Naturfor- scher begeistert: „Uns sind Einblicke in die Natur möglich, die man anders gar nicht erfahren könnte.“ Benoît Sittler erlebt seit fast drei Jahrzehnten mit seinem Team, wie sich der Klimawandel auf die Tierwelt Grönlands auswirkt Der Forscher und die Schneeeule: Benoît Sittler reist jedes Jahr von Juni bis August in den Nordosten Grönlands. FOTOS: KARUPELV VALLEY PROJECT Die Wissenschschaftler dokumentierten, wie ein Eisbär auf Beutefang in ihre Hütte auf der Insel Traill einbrach. Langzeitarbeitsplatz Arktis Das Projekt „Der naturnahe Was- serhaushalt als Leitbild in der Sied- lungswasserbewirtschaftung“ der Professur für Hydrologie der Univer- sität Freiburg erhält mit 248.000 Euro die höchste Fördersumme aus dem diesjährigen „Innovationsfonds für Klima- und Wasserschutz“ des Ener- gieversorgers Badenova. Zusätzlich fördert der Eigenbetrieb Stadtentwäs- serung der Stadt Freiburg das Projekt mit 100.000 Euro. Die Forscherinnen und Forscher beschäftigen sich un- ter der Leitung von Dr. Tobias Schütz und Prof. Dr. Markus Weiler mit den Auswirkungen von Besiedlung und Städtebau auf die Wasserwirtschaft. Beispielsweise untersuchen sie, wie sich Grundwasserneubildung, Regen- wasserversickerung, Verdunstung und Abfluss von natürlichem Oberflächen- wasser verändern, wenn ein Natur- raum besiedelt wird. Im Innovations- fonds stellt die Badenova seit 2001 jährlich 1,8 Millionen Euro aus ihrem Gewinn für beispielgebende Projekte im Klima- und Wasserschutz in der Region zur Verfügung. Energieversorger fördert Projekt der Hydrologie www.naturnahe-regenwasserbewirt- schaftung.info  Zum ersten Mal schreiben das Frei- burg Institute for Advanced Studies (FRIAS) und das Institute for Advanced Research (IAR) der japanischen Nagoya University eine gemeinsame Projekt- gruppe aus. Bewerbungsschluss ist der 31. Juli 2015. Forschungsgruppen bei- der Universitäten und aller Fachrichtun- gen können sich für das Programm mit einer Förderdauer von 24 Monaten be- werben. Beginn ist im Januar 2016. Das Vorhaben fördert Forschungsaufenthal- te an den Partneruniversitäten, Work- shops, Konferenzen sowie Aktivitäten für Nachwuchsforscherinnen und -for- scher. Dafür stellen Freiburg und Nagoya insgesamt knapp 60.000 Euro bereit. Ausschreibung für Spitzenforschung www.pr.uni-freiburg.de/go/frias Wissenschaft entdecken auf Surprising Science Bausteine der Welt: Der größte Teilchenbeschleuniger der Welt, der Large Hadron Collider am Forschungszentrum Cern im schweizerischen Genf, ist nach län- gerer Pause wieder in Betrieb und das mit nahezu doppelt so viel Energie wie bisher. Der Freiburger Physikprofessor Karl Jakobs erklärt in einem Video, welche Ergebnis- se er von dem Projekt erwartet. www.pr.uni-freiburg.de/go/teilchenbe- schleuniger Lebensfroh: Die Gruppe hat mit dem Mythos, Lemminge würden scharenweise Selbstmord begehen, aufgeräumt. FOTO: DIMCHA/FOTOLIA 032015

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