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uni'leben 05-2015

05 2015 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 3 Genauso bemerkenswert wie die Zahl der Asylsuchenden ist die Bereit- schaft vieler Freiburgerinnen und Freiburger, sich ehrenamtlich zu en- gagieren. Wer sind diese Menschen? Wie helfen sie? Was motiviert sie? Um das herauszufinden, hat Xenia Hediger mit freiwilligen Helferinnen und Helfern gesprochen. Die Ergeb- nisse fasste sie in ihrer Masterarbeit im Studiengang Interdisziplinäre Anthropologie zusammen. Zunächst musste Hediger sich einen Überblick über die Freiburger Initiativen verschaffen. Dafür besuchte sie einen Einstiegskurs zum Thema Flüchtlings- hilfe. Mit diesem angebot reagiert die Freiwilligenagentur der Stadt auf die vielen hilfsbereiten Bürgerinnen und Bürger. Auch große Verbände wie das Deutsche Rote Kreuz oder die Caritas vermitteln Freiwillige in ihre jeweiligen Projekte. Daneben gibt es mehr als 20 kleinere Gruppen: Beispielsweise bietet Südwind Freiburg e.V. Integrationskurse an, die Initiative Rasthaus stellt unter anderem Rechtshilfe bereit, und Schlüs- selmensch e.V. vermittelt Patenschaften für Flüchtlingskinder und Jugendliche. Kurz und spontan Auffällig ist, dass sich wesentlich mehr Frauen als Männer engagieren: Dies spiegelt sich darin wider, dass nur zwei der 16 von Hediger Interviewten auf Augenhöhe ist ihrer Kultur fremd. Um Vertrauen zu schaffen, setzt Bengel mit seinem Team deshalb zunächst auf eine so genannte Psychoedukation. „Wir erklären den Frauen in der Gruppe, welche Symptome es aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen geben kann, und zeigen Wege auf, wie wir ihnen hel- fen können“, erklärt Jennifer Hillebrecht, Mitarbeiterin in der abteilung. Sie und ihre Kollegin Tina Zeiss besuchen die Frauen und Kinder in den Wohnunter- künften, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, und helfen in akuten psychischen Notsituationen. Um die Sprachbarriere zu überwin- den, arbeiten die Psychologinnen mit Dolmetscherinnen zusammen, die Kurmanci sprechen und schon länger in Deutschland leben. „Auch viele dieser Frauen sind geflüchtet, haben belastende Erfahrungen gemacht oder in ihrer Familie erlebt und sind deshalb emotional betroffen“, sagt Bengel. Das Büro für Migration und Integration der Stadt Freiburg hat sie jedoch mit Schu- lungen auf ihre Rolle vorbereitet und begleitet sie bei der Arbeit. Das Team des Instituts für Psychologie selbst hatte nur einen geringen zeitlichen Vorlauf, um sich mit der Kultur der Jesiden vertraut zu machen: der mono- theistischen Religion, dem Kasten- wesen, der patriarchalisch geprägten Gesellschaft. Der Bildungs- grad der Frauen wiederum variiert stark, Analphabe- tinnen sind ebenso da- runter wie Frauen mit Abitur. All dies sind Faktoren, die das Team vor große Herausfor- derungen stellen. Bislang jedoch steht für die Jesidin- nen Alltagsbewältigung mithilfe der So- zialbetreuung von Stadt und Caritas im Vordergrund: Deutschkurse, Arztbesu- che, Betreuung der Kinder, die inzwi- schen alle in die Schule oder den Kin- dergarten gehen. Sie erlebe die Frauen als stark, sagt Hillebrecht: „Mich über- rascht immer wieder, wie gut sie mit von Yvonne Troll Einhundert. So viele Flüchtlinge kommen seit Oktober 2015 jede Woche in Freiburg an. Das stellt die Stadt vor enorme Herausforderun- gen: Die Menschen brauchen eine Unterkunft, Nahrung, Kleidung, medizinische Versorgung, Hilfe bei Behördengängen, Deutschkurse. von Nicolas Scherger Im August 2014 verübt die Terror- gruppe „Islamischer Staat“ (IS) im Nordirak ein Massaker an der Religi- onsgemeinschaft der Jesiden. Män- ner werden umgebracht, Frauen und Kinder verschleppt, viele von ihnen missbraucht und gefoltert. Das Vor- gehen des IS komme einem Völker- mord gleich, urteilen die Vereinten Nationen. Das Staatsministerium Baden-Württemberg reagiert: Im „Sonderkontingent besonders schutz- bedürftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak“ will es bis zu 1.000 Jesiden ins Land holen, bis zu 200 davon nach Freiburg. Bis Mitte No- vember 2015 sind dort 135 eingetrof- fen, mehr als die Hälfte sind Kinder. Regelmäßige Besuche und akute Nothilfe „Diese Menschen sind schwer trau- matisiert“, berichtet Prof. Dr. Dr. Jür- gen Bengel, Direktor der Abteilung für Rehabilitationspsychologie und Psy- chotherapie der Universität Freiburg. Doch ihre Sprache Kurmanci, ein kur- discher Dialekt, kennt keinen Begriff für „Psyche“, und das hiesige Kon- zept der Psychotherapie mit gemein- samer Zielsetzung und Gesprächen ihrer Situation umgehen.“ Allerdings vermutet sie, dass die Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse bei den meisten erst noch bevorsteht. Drei Frauen befinden sich schon in ambulanter Therapie, die Zahl werde wohl steigen. Bei der Behandlung arbeitet das Institut für Psychologie mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter des Universitätsklinikums Freiburg zu- sammen. Dort untersuchen Prof. Dr. Mathias Berger und sein Team die Frauen beispielsweise darauf, ob Schmerzen körperlich oder psy- chisch bedingt sind und ob die Ein- nahme von Medikamenten ratsam ist. Darüber hinaus sind im Klinikum stationäre Therapien möglich. Das Projekt läuft vorerst bis Ende 2016. Ziel ist, alle, die bleiben wol- len, zu integrieren und ihnen Per- spektiven zu eröffnen. „Die Frauen brauchen zwar noch Zeit, um anzu- kommen, die meisten sehen ihre Zukunft aber in Deutschland“, sagt Hillebrecht. Einige wollen beispiels- weise möglichst schnell Deutsch lernen, um ein Studium aufzuneh- men und damit ihren Bildungsweg fortzusetzen – vielleicht an der Uni- versität Freiburg. aktuell auf Augenhöhe ist ihrer Kultur fremd. Um Vertrauen zu schaffen, setzt Bengel mit seinem Team deshalb zunächst auf eine so genannte Psychoedukation. „Wir erklären den Frauen in der Gruppe, welche Symptome es aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen geben kann, und zeigen Wege auf, wie wir ihnen hel- fen können“, erklärt Jennifer Hillebrecht, Mitarbeiterin in der abteilung. Sie und ihre Kollegin Tina Zeiss besuchen die Frauen und Kinder in den Wohnunter- künften, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen, und helfen in akuten psychischen Notsituationen. Um die Sprachbarriere zu überwin- den, arbeiten die Psychologinnen mit Dolmetscherinnen zusammen, die Kurmanci sprechen und schon länger in Deutschland leben. „Auch viele dieser Frauen sind geflüchtet, haben belastende Erfahrungen gemacht oder in ihrer Familie erlebt und sind deshalb emotional betroffen“, sagt Bengel. Das Büro für Migration und Integration der Stadt Freiburg hat sie jedoch mit Schu- lungen auf ihre Rolle vorbereitet und begleitet sie bei der Arbeit. Das Team des Instituts für Psychologie selbst hatte nur einen geringen zeitlichen Gesellschaft. Der Bildungs- grad der Frauen wiederum variiert stark, Analphabe- tinnen sind ebenso da- runter wie Frauen mit Abitur. All dies sind Faktoren, die das Team vor große Herausfor- derungen stellen. Bislang jedoch steht für die Jesidin- nen Alltagsbewältigung mithilfe der So- zialbetreuung von Stadt und Caritas im Vordergrund: Deutschkurse, Arztbesu- che, Betreuung der Kinder, die inzwi- schen alle in die Schule oder den Kin- dergarten gehen. Sie erlebe die Frauen als stark, sagt Hillebrecht: „Mich über- rascht immer wieder, wie gut sie mit ihrer Situation umgehen.“ Allerdings vermutet sie, dass die Aufarbeitung der traumatischen Erlebnisse bei den meisten erst noch bevorsteht. Drei Frauen befinden sich schon in ambulanter Therapie, die Zahl werde wohl steigen. Bei der Behandlung arbeitet das Institut für Psychologie mit der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie sowie der Klinik für Psychotherapie und Psychosomatik im Kindes- und Jugendalter des Universitätsklinikums Freiburg zu- sammen. Dort untersuchen Prof. Dr. Mathias Berger und sein Team die Frauen beispielsweise darauf, ob Schmerzen körperlich oder psy- chisch bedingt sind und ob die Ein- nahme von Medikamenten ratsam ist. Darüber hinaus sind im Klinikum stationäre Therapien möglich. Das Projekt läuft vorerst bis Ende 2016. Ziel ist, alle, die bleiben wol- len, zu integrieren und ihnen Per- spektiven zu eröffnen. „Die Frauen brauchen zwar noch Zeit, um anzu- kommen, die meisten sehen ihre Zukunft aber in Deutschland“, sagt Hillebrecht. Einige wollen beispiels- weise möglichst schnell Deutsch Das Tal Lalisch, etwa 60 Kilometer von der nordirakischen Stadt Mosul entfernt, hat eine zentrale Bedeutung für die jesidische Religion: Es beherbergt die Grab- stätte von Scheich adi ibn Musafir, der als wichtigster Heiliger der Glaubensge- meinschaft gilt. FOTO: KNOVAKOV/FOTOLIA Vertrauen aufbauen, Erlebnisse verarbeiten Freiburger Psychologen betreuen Frauen und Kinder aus der Religionsgemeinschaft der Jesiden, die vor islamistischem Terror geflüchtet sind männlich sind. Viele der Freiwilligen kennen selbst das Gefühl des Fremdseins zu Hause oder im Aus- land, berichtet Hediger. Oft hätten sie den Eindruck, im Vergleich zu den Flüchtlingen privilegiert zu sein – mit ihrem Engagement wollten die Freiwilligen einen Ausgleich schaf- fen. Relevant sei zudem, ob eine Gelegenheit zur Hilfe entstehe, etwa durch räumliche Nähe zu Migrantin- nen und Migranten. Freiburger, die in der Nachbarschaft von Flüchtlings- heimen leben, haben sich beispiels- weise zu Freundeskreisen der Wohnheime zusammengeschlossen. „Die Freundeskreise sind ein Bei- spiel dafür, wie sich das ehrenamtliche Engagement in den vergangenen 30 Jahren verändert hat“, sagt Hediger. Immer mehr Menschen seien außer- halb von Verbänden aktiv, eine Ten- denz, die mit einem Wandel der Gesellschaft zu tun habe. Freiwillige wollten sich jenseits der hierarchi- schen Strukturen großer Organisatio- nen engagieren, autonom und mit Gestaltungsfreiraum. „Früher herrschte das Verständnis vor, dass man sich auf ein lebenslanges Engagement einlässt. Heute gibt es eher kurze, spontane Einsätze.“ Dazu gehören zum Beispiel ab und zu ein paar Stunden Hausaufgabenbetreuung oder Kleiderspenden. Ein Faktor jedoch scheint aus der Vielzahl der Beweggründe herauszu- stechen: zwischenmenschliche Be- ziehungen. „Sehr viele Freiwillige erzählten von Freundschaften, die sich zu den Flüchtlingen oder zu an- deren Helfenden entwickelten, vom schönen Miteinander und der Wert- schätzung ihrer Arbeit“, sagt Hediger. Und was hat sie selbst zu ihrer For- schung motiviert? Sie habe den Ein- druck gehabt, es werde beim Thema Flüchtlingshilfe zu viel von Proble- men und zu wenig von dem Potenzi- al gesprochen, das die ankommen- den Menschen bergen. „In Freiburg gibt es unzählige Bürger, die für Flüchtlinge viel Positives bewirken. Das hat mich unheimlich beeindruckt.“ In Reichweite: Viele Freiburger, die in der Nachbarschaft von Wohnheimen leben, setzen sich für Flüchtlinge ein. FoTo: THoMaS KUNz Von Mensch zu Mensch Xenia Hediger untersuchte für ihre Masterarbeit, warum sich Freiburger für Flüchtlinge engagieren 052015

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