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uni'wissen 02(4)-2011

Was ist mehr: ein Liter Milch oder ein Liter Wasser? Heute ist jedes Kind überzeugt: Ein Liter ist immer ein Liter, unabhängig vom ­Inhalt. Genauso überzeugt waren die Menschen des 18. Jahrhunderts, dass es nicht so ist: Eine Gallone Bier konnte nicht dasselbe Volumen ­haben wie eine Gallone Wein, weil es sich um unterschiedliche Flüssigkeiten handelte. Um 1750 fasste die Gallone Bier in England etwa 800 Milliliter mehr. Das metrische System beendete dieses Denken in wenigen Generationen. Die Einheiten Meter, Kilogramm und Liter brachten eine neue Bezie- hung der Menschen zu Entfernung, Masse und Menge mit sich. Dr. Peter Kramper erforscht für seine Habilitation am Historischen Institut und am Freiburg Institute for Advanced Studies ­(FRIAS), wie neue Maßsysteme zwischen 1750 und dem Ersten Weltkrieg die europäischen Staaten prägten. Seine Arbeit untersucht die Standardisierung in Europa mit Schwerpunkt auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Er fragt, welche Standards und Maßeinheiten existier- ten, wie sie sich entwickelten und warum sie letztlich vereinheitlicht wurden. Dabei interessieren ihn nicht nur die wissenschaftliche und admini­ strative Seite des Problems, sondern auch seine wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtlichen Aspekte. „Es gab eine wirtschaftliche und kultu- relle Logik der frühneuzeitlichen Maße, die sich dann im 19. Jahrhundert stark veränderte.“ Ant- worten auf seine Fragen erhält er in Archiven und Bibliotheken: durch Dokumente wie Flug- schriften, wissenschaftliche Veröffentlichungen oder Verwaltungsakten. Auch die Literatur der Aufklärung sei aufschlussreich: Die Argumen­ tation für oder gegen standardisierte Maße habe propagandistische Züge, sagt der Historiker – besonders in Frankreich. Einheiten auf der Basis der Natur Die französischen Revolutionäre führten nach 1789 das metrische System ein. Kramper nennt es „ein systematisch konstruiertes Einheiten­ system von rationalistischer Schlichtheit“: Es ­basierte auf der Natur – ein Meter war ursprüng- lich der zehnmillionste Teil der Entfernung vom Nordpol zum Äquator auf dem Längengrad von Paris. Liter und Kilogramm basieren wiederum auf dem Meter. Die Elemente dieses Systems sind logisch miteinander verknüpft und bauen auf der Zahl 10 auf. Das Dezimalsystem macht die Einheiten skalierbar: Die griechische Vorsilbe „kilo“ vergrößert die Einheit, die lateinische „milli“ verkleinert sie. Die Idee komme aus der Aufklä- rung und folge dem Naturrechtsgedanken: „Alle Menschen haben das gleiche Recht und die glei- che Grundlage.“ Deshalb mussten die Einheiten für alle Güter gleich sein – ob Wein oder Bier, Brot oder Kohle. Das neue System verzückte aufklärerische ­Intellektuelle, doch die Mehrheit der Bevölkerung ignorierte es schlicht. Paris hatte „die größte Mühe, seine Beamten zur Umsetzung zu bringen“. Aus heutiger Sicht war es nur logisch, eine Syste- matik in das Gewirr der Flächen-, Gewichts- und Längeneinheiten zu bringen. Dagegen erscheint Siegel drauf, Standard gesetzt: 1875 eröffnete das ­Bureau International des Poids et Mesures in Paris, das den Aufbau gleicher Maße und Gewichte steuerte. Grafik: Wikimedia Commons 9uni'wissen 04