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uni'wissen 02-2015

Dr. Elisa Orrù hat Philosophie an der Universität Mailand/Italien studiert. 2008 wurde sie an der Rechtswissenschaft- lichen Fakultät der Uni- versität Pisa/Italien mit einer Arbeit zu Legitimations- fragen im Völkerstrafrecht promoviert. Sie forschte unter anderem in Princeton/ USA, am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentli- ches Recht und Völkerrecht in Heidelberg sowie mehr- fach am Max-Planck-Institut für ausländisches und inter- nationales Strafrecht in Frei- burg. Seit 2013 habilitiert Elisa Orrù an der Philosophi- schen Fakultät der Universität Freiburg. Sie ist wissen- schaftliche Mitarbeiterin am Centre for Security and Society und am Husserl- Archiv. Foto: Thomas Goebel Zum Weiterlesen Foucault, M. (201314 ): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefäng- nisses. Frankfurt am Main. Orrù, E. (2013): Report on methodology and criteria for incorporating perception issues in the design phase of new surveillance systems. SURVEILLE Deliverable 3.6, online veröffentlicht unter: http://surveille.eui.eu/research/publications Nissenbaum, H. F. (2009): Privacy in context: technology, policy, and the integrity of social life. Stanford. burger Philosophieprofessor und Direktor des Husserl-Archivs, Prof. Dr. Hans-Helmuth Gan- der, betreut. „Überwachung und Herrschaft. Eine philosophische Analyse, ausgehend von drei Überwachungsinitiativen in der Europäischen Union“ lautet der Arbeitstitel. Der Begriff der Pri- vatheit bildet auch darin einen Schwerpunkt der Analyse: „Meine These ist, dass wir das Konzept nicht aufgeben, sondern es erweitern und die Wahrnehmung der Bürger einbeziehen sollten.“ In klassischen Definitio- nen von Privatheit gehe es vor allem darum, dass man andere ausschließen oder den Zugang zum privaten Bereich kontrollieren könne. Das ist Orrù zu statisch und zu eng – sie folgt eher der Kultur- und Medienwissenschaftlerin Helen Nissenbaum, die Privatheit als „contextual integrity“ versteht: „Für jede Kommunikations- situation gibt es rechtliche, vor allem aber soziale und oft unausgesprochene Normen“, erklärt Orrù. „Nach diesem Verständnis herrscht Privatheit, wenn wir uns darauf verlassen können, dass die- se Normen berücksichtigt werden.“ Der Arzt ver- öffentlicht keine Diagnoseergebnisse mit Namen im Internet. Die Freundin erzählt ihr anvertraute Geheimnisse nicht weiter. Mittel der Herrschaft Dieses Konzept könne in der Politik helfen, Verletzungen von Privatheit zu fassen, die man sonst nicht in den Blick bekäme, sagt Orrù – und es führt zu der Frage, wer welche Regeln auf- stellt und kontrolliert. „Überwachung ist immer auch ein Mittel der Herrschaft.“ Sie will drei eu- ropäische Überwachungsinitiativen untersuchen: Die EURODAC-Datenbank, die die Fingerabdrü- cke von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern speichert, das „Schengener Informationssystem“ (SIS II), das als Ausgleich für den Wegfall der Grenzkontrollen eingeführt wurde, sowie die Pläne zur Vorratsdatenspeicherung. „Im Raum der Frei- heit, der Sicherheit und des Rechts ist die Vertei- lung der Kompetenzen zwischen den National- staaten und der EU noch instabil“, sagt sie. Die politischen Entscheidungsprozesse in diesem Zusammenhang seien noch nicht abgeschlossen, deshalb lasse sich gut beobachten, wie Macht verteilt werde. Das Zusammenspiel von Überwachung und Herrschaft hat schon der Historiker und Sozial- philosoph Michel Foucault anhand des Panopti- cons untersucht: einer Gefängnisarchitektur mit einem turmartigen Ausguck im Zentrum, der es erlaubt, alle Gefangenen permanent zu kontrol- lieren. „Sie wissen, dass sie immer überwacht werden können“, sagt Orrù. Das allein führt zu ihrer Disziplinierung – unabhängig davon, ob ak- tuell eine Überwachung stattfindet. Ähnlich be- einflussten totalitäre Staaten des Ostblocks das Verhalten ihrer Bürger, die stets damit rechnen mussten, dass über sie eine Akte geführt wurde, selbst wenn das gar nicht der Fall war. Womit Elisa Orrù wieder an den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen zurückkehrt und erneut dafür plädiert, auch die Wahrnehmung derer mit einzu- beziehen, die überwacht werden oder sich zu- mindest überwacht glauben. Etwa im Fall eines öffentlichen Gebäudes, an dem eine Zeitlang Kameras hingen – allerdings waren es, wie sich nach Protesten herausstellte, Attrappen. „Wenn wir nur darauf schauen, ob private Daten verletzt wurden, kommen wir zu dem Ergebnis: Es gibt kein Problem, denn es wurde ja gar nichts ge- sammelt und gespeichert“, sagt Orrù. „Wir sollten damit aber trotzdem ein Problem haben.“ www.surveille.eu In klassischen Definitio- nen von Privatheit gehe es vor allem darum, dass man andere ausschließen oder den Zugang zum privaten Bereich kontrollieren könne. Das ist Orrù zu statisch und zu eng – sie Herrschaft hat schon der Historiker und Sozial- philosoph Michel Foucault anhand des Panopti- cons untersucht: einer Gefängnisarchitektur mit einem turmartigen Ausguck im Zentrum, der es erlaubt, alle Gefangenen permanent zu kontrol- lieren. „Sie wissen, dass sie immer überwacht werden können“, sagt Orrù. Das allein führt zu ihrer Disziplinierung – unabhängig davon, ob ak- tuell eine Überwachung stattfindet. Ähnlich be- einflussten totalitäre Staaten des Ostblocks das Verhalten ihrer Bürger, die stets damit rechnen mussten, dass über sie eine Akte geführt wurde, selbst wenn das gar nicht der Fall war. ihrer Überlegungen zurückkehrt und erneut dafür plädiert, auch die Wahrnehmung derer mit einzu- beziehen, die überwacht werden oder sich zu- Foto: stockphoto-graf/Fotolia uni wissen 02 201538 uni wissen 02201538

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