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uni'wissen 02(4)-2011

Dr. Peter Kramper hat Neuere und Neueste Geschichte, Politikwissen- schaft, Philosophie und Wirtschaftsgeschichte in Mainz, Freiburg und Lon- don / England studiert. ­Seinen Master in Wirt- schaftsgeschichte machte er 1999 an der London School of Economics. ­Zwischen 2000 und 2006 arbeitete er als wissen- schaftlicher Angestellter am Lehrstuhl für Wirt- schafts- und Sozialge- schichte der Universität Freiburg. Seine Disserta­ tion wurde 2007 von der Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte ausgezeichnet. Im Herbst 2006 begann er mit seiner Habilitation „The Battle of the Standards: Messen, Zählen und Wiegen in Westeuropa 1750 – 1914“. Zwischen Oktober 2010 und September 2011 war er Junior Fellow am Frei- burg Institute for Advanced ­Studies (FRIAS). die kleineren Staaten nach der Reichsgründung 1871 das metrische System, um nicht die Ein­ heiten des mächtigen Preußen übernehmen zu müssen. 1875 eröffnete in Paris eine internationale Ins- titution, die den Aufbau gleicher Maße und ­Gewichte steuerte: das Bureau International des Poids et Mesures. Im gleichen Jahr unterschrie- ben Vertreter von 17 Staaten die Meterkonven­ tion. Über das Bureau diskutierten Nationen aus aller Welt die endgültige Definition der metri- schen Standards. 1889 wurden ein Urkilogramm und ein Urmeter angefertigt. Auch Arbeiter und Bauern standen nun dahinter: Sie hatten neue Maße zunächst abgelehnt, weil sie in der Ver- gangenheit bei Änderungen oft benachteiligt worden waren. Jetzt profitierten sie davon, weil ihre Produkte mit einheitlichen, staatlich geeich- ten Geräten kontrolliert werden konnten. Wenn eine Kontrollwaage zum Beispiel festhielt, wie viel Stoff ein Weber täglich produzierte, wurde es für seinen Arbeitgeber schwieriger, ihn beim Lohn zu betrügen. Fixe Maße ersetzen grobe Richtlinien Der „Transformationsprozess der Gesellschaft“ sei spätestens im 20. Jahrhundert unumkehrbar geworden, sagt Kramper. Meter, Kilogramm und Liter verdrängten nicht nur alte Einheiten, son- dern auch altes Denken. „Vormoderne Maße ­waren häufig Schätzmaße“, erklärt der Historiker, zum Beispiel beim Landbesitz: Ihn in Hektar zu beurteilen wäre zu abstrakt gewesen und hätte nichts über die Beschaffenheit des Bodens aus- gesagt. Wer in Morgen denkt, weiß sofort, wie viel Fläche er an einem Morgen beackern kann – und kann abschätzen, ob das Land schwierig oder einfach zu bearbeiten ist. Zum Weiterlesen Crease, R. P. (2011): World in the Balance. The Historic Quest for an Absolute System of Measurement. New York/London. Alder, K. (2003): Das Maß der Welt. Die Suche nach dem Urmeter. München. Kula, W. (1986): Measures and Men. Princeton. Agrarische Gesellschaften dachten demnach kaum in fixen Maßen: Verkaufte ein Bauer einen Scheffel Weizen, stellte das nur eine grobe Richtlinie dar. Der Scheffel war in guten Zeiten größer und in schlechten kleiner, er konnte ­gehäuft oder gestrichen sein – und blieb trotz- dem ein Scheffel. Die Zeitgenossen verknüpften Maße gedanklich mit dem Produkt und weniger mit der Menge. „Frühneuzeitliche Maßeinheiten waren immer konkret gedacht“, sagt Kramper. „Das finde ich nach wie vor schwer zu verstehen.“ Vor dem inneren Auge sahen die Menschen ­einen Laib Brot, ein Fass Butter, einen Berg ­Äpfel. „Bei uns ist es ja heute so, dass wir die Dinge gedanklich schon verpackt sehen.“ Egal ob Menschen sich einen Liter Milch, ein halbes Kilo Zucker oder ein Kilo Müsli vorstellen, sie denken standardisiert und abstrakt – und finden es deshalb logisch, dass ein Liter immer ein Liter ist. Haben sie das konkrete Denken verlernt? Nicht ganz: Wer zum Beispiel mit dem Zug reist, denkt in Stunden und nicht in Kilometern. „Und meine Kaffeepause bemesse ich natürlich nicht in Minuten, sondern in der Zeit, die ich brauche, um den Kaffee zu genießen.“ Fast überall angekommen: Die Karte zeigt, wann die Staaten das metrische System eingeführt haben (helle Flächen: keine Daten vorhanden). Nur Liberia, Myanmar und die USA (schwarz) verzichten bis heute darauf. Grafik: Wikimedia Commons 11