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uni'wissen 02(4)-2011

„Gesponnenes Glas“ in schwarzer Meeresnacht: Aus seiner Tauchkugel erspähte der Naturforscher William Beebe exotische Kreaturen. Foto: mirpic/Fotolia Ein Schwarm Quallen huscht vorüber. Sie wir- beln wie dünnes, „gesponnenes Glas“ umher, wie ein „umgestülpter Strauß Maiglöckchen“, ­notiert William Beebe – schnell, solange er sich noch an die Details erinnern kann, die er durch das Bullauge seiner Tauchkugel erspäht. Dann schwimmen 20 oder 30 Fische an der Glasscheibe vorbei; kleine, schmale Tiere, die ihr Riesenmaul auf- und zuklappen. Ob das Laternenfische sind? Der amerikanische Naturforscher ist sich nicht sicher. Im künstlichen Licht der Schein­ werfer wirken die vertrauten Farben trügerisch, die bekannten Formen unwirklich. Ihm gehen die Worte aus, um die Hunderte von Nuancen zwi- schen hell und dunkel, groß und klein, spitz und rund zu beschreiben, die in der Tiefe des Meeres auf sein Auge einprasseln. 1934 gelingt William Beebe ein Rekord: In ­einer anderthalb Meter großen Eisenkugel taucht er vor der Küste Bermudas 923 Meter in die Tiefe des Atlantiks. Der Naturforscher kommt der Unter- wasserwelt so nahe wie niemand zuvor – und doch nicht nahe genug, sagt Natascha Adamowsky. Für ihr aktuelles Projekt untersucht die Freiburger Professorin für Medienkulturwissenschaft, auf welche Weise das Meer in der Moderne, also im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als Wunder und Geheimnis dargestellt wurde: Wie inszenierten Filmemacher die fremden Kreaturen der Unterwasserwelt? Was hat es zu bedeuten, wenn der französische Schriftsteller Jules Verne in dem Buch „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“ von einem Kampf zwischen Mensch und Riesenkraken erzählt? Und wieso übte das Meer solch eine Faszination aus – nicht nur auf Wissen- schaftler und Künstler, sondern auch auf einen Großteil der Bürgerinnen und Bürger, die jeder Ausstellung entgegenfieberten, bei der sie in Spiri- tus eingelegte Seepferdchen bestaunen konnten? Die Meeresnacht setzt dem Menschen Grenzen Adamowsky analysiert unter anderem Zeich- nungen von Muscheln oder Korallen aus Lehr­ büchern, künstlerische Bilder, die eine exotische Traumwelt der Tiefsee zeigen, Unterwasserfilme, Romane und Expeditionsberichte – wie zum ­Beispiel „923 Meter unter dem Meeresspiegel“, den Bericht, den William Beebe über seine ­Reise in die Tiefe schrieb. „Bei seinen Expeditionen hat der Naturforscher zwar viel entdeckt, aber er konnte trotzdem nicht erfahren, wie es dort wirk- lich aussieht“, sagt Adamowsky. „Die Meeres- nacht der Tiefsee ist nicht für das menschliche Auge gemacht. Um etwas zu erkennen, müssen wir Licht machen.“ Doch ein Fisch ist nicht gleich ein Fisch ist nicht gleich ein Fisch: Bei elektri- schem Licht sieht das Tier anders aus als in ­seinem ewig dunklen Lebensraum. Das Problem besteht bis heute. Auch mit den neuesten Geräten können Biologinnen und Biologen nicht heraus- finden, was die Tiere tun, wenn es dunkel ist. So irrte auch Beebe – auf dem Höhepunkt der ­damaligen Tauchtechnik – wie eine Luftblase in einer Welt umher, in der es eigentlich keine Luft- blasen gibt: Geräusche drangen nur gedämpft und verzerrt an sein Ohr, die Tiere wirbelten in Blitzgeschwindigkeit an der Tauchkugel vorbei. Seine Erinnerungen an die Expedition verraten die Enttäuschung eines Wissenschaftlers, der an seine Grenzen geriet: „Unser Vokabular ­verarmt, und unser Verstand steht wie unter Drogen“, schrieb der Naturforscher. Beebes Tiefseeexpe- ditionen machen deutlich: Erfolg und Misserfolg sind zwei Seiten einer Medaille. Die Medienkulturwissenschaftlerin findet seine Berichte vor allem aus zwei Gründen interessant. Erstens verdeutlichten sie, dass immer eine ­Vermittlungsdistanz zwischen dem Objekt und seinem Erforscher bestehen bleibe – exempla- risch spiegele das auch das Dilemma der Wissen- schaft wider: „Alles, was uns über das Meer ­bekannt ist, wissen wir nur aus den Medien und durch Maschinen, die uns Aspekte, Ausschnitte, Daten liefern. An die Welt selbst kommen wir nie ran“, erklärt Adamowsky. Wer die Geschichte der Wunder des Meeres verstehen wolle, müsse auch beachten, wie die Informationen gewonnen und auf welche Weise sie dem Publikum vermittelt ‚‚Alles, was uns über das Meer bekannt ist, wissen wir nur aus den Medien und durch Maschinen, die uns lediglich Aspekte, Ausschnitte, Daten liefern. An die Welt selbst kommen wir nie ran“ 29uni'wissen 04