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uni'leben 04-2012

Fotos: Archäologische Sammlung, Wikimedia Commons (2) Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de von Nicolas Scherger Einige sind Herrscher, Heilige, Halbgötter. Andere sind ein- fache Soldaten, Arbeiter, sozial engagierte Bürger. Gemeinsam ist ihnen, dass sie für Leistungen, die weit über das übliche Maß hin- ausgehen, als Vorbilder bewundert werden. „Heldinnen und Helden werden immer von ihren Vereh- rerinnen und Verehrern gemacht“, sagt der Archäologe Prof. Dr. Ralf von den Hoff. Er ist Sprecher des neuen Sonderforschungsbereichs (SFB) „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ an der Universität Freiburg, in dem Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftler ermit- teln wollen, wie Gemeinschaften Helden konstruieren und welche Funktionen diese für ihr soziales und kulturelles Umfeld haben. „Wir wollen nicht definieren, was Helden sind. Unser Ziel ist, das Phänomen theoretisch zu durchdringen.“ Bislang habe sich die Forschung vor allem auf die Rezeptionsge- schichte einzelner Figuren konzen- triert, ohne dass daraus ein Ge- samtbild entstanden sei, berichtet der SFB-Sprecher. Zudem gingen aktuelle wissenschaftliche Ansät- ze meist von der Gegenwart aus, in der Helden Konjunktur hätten und zugleich in der Kritik stünden – unter anderem als Folge des Nie- dergangs großer Ideologien, trau- matischer Erfahrungen von Gewalt und der Pluralisierung von Werte- vorstellungen im 20. Jahrhundert. Wer weiter zurückblicke, stelle jedoch fest, dass Helden seit der Antike das kulturelle Orientierungs- wissen prägten. Aber warum? „Die Ausgangsthese lautet, dass sich am Umgang mit Heldenfigu- ren Prozesse und Mechanismen nachvollziehen lassen, die für den Zusammenhalt oder den Zerfall von Gemeinschaften grundlegend sind“, sagt von den Hoff. Aus Normen ausbrechen, Ordnungen stabilisieren Um diese These zu prüfen, spannen die Forscherinnen und Forscher einen weiten Bogen. In der ersten, vier Jahre dauernden Phase konzentrieren sie sich auf den Zeitraum von der Antike bis zum beginnenden 20. Jahrhundert sowie auf Europa und europäisch beeinflusste Räume. Am Anfang stehen die religiös geprägten Hel- den vorchristlicher Gesellschaf- ten. „Ab dem Mittelalter spielt das Verhältnis von Helden und Heili- gen eine große Rolle, in der Frü- hen Neuzeit das von Helden und Herrschern und ab dem 19. Jahr- hundert das von Helden und der Nation“, skizziert von den Hoff die Entwicklungslinie. In den folgen- den beiden Phasen des Projekts, das auf zwölf Jahre angelegt ist, wollen die Wissenschaftler das 20. und 21. Jahrhundert sowie außer- europäische Kulturen einbeziehen. Im Mittelpunkt stehen nicht die Helden selbst, sondern die Gemeinschaften, die Helden er- schaffen. Ein Forschungsgebiet sind Prozesse der Heroisierung und Deheroisierung: Wer trägt mit welchen Mitteln dazu bei, dass je- mand zum Held aufsteigt oder wie- der gestürzt wird? Welche sozialen Motivationen stehen dahinter? Ein weiteres Feld benennen die For- scher mit dem Begriff „Heroismen“. Ziel ist es, die Mechanismen auf- zudecken, nach denen sich Grup- pen kollektiv an heroischen Ver- haltensweisen orientieren. „Helden brechen aufgrund außergewöhnli- cher Taten aus den Normen einer Gemeinschaft aus – und dennoch stabilisieren sie diese Normen und damit die soziale Ordnung, indem sie als Vorbilder wirken“, erklärt von den Hoff. Dieses Spannungs- verhältnis sei für die Wissenschaft- ler besonders interessant. Zudem geht es um Transforma- tionen und Konjunkturen: „Das 19. und frühe 20. Jahrhundert bilden zum Beispiel eine Hochphase der Nationalhelden“, sagt von den Hoff. „Gleichzeitig treten Figuren wie der Unbekannte Soldat an die Stelle von Individuen – plötzlich kann je- der Held werden.“ Wie also verän- dern sich Heldenfiguren im Laufe der Zeit, und was sagt das über soziale und kulturelle Entwicklun- gen aus? Warum bringen Gesell- schaften in manchen Zeiträumen mehr, in anderen weniger Helden hervor? Eine These lautet, dass Helden besonders in Krisensitua- tionen aufkommen: „Die Terroran- schläge vom 11. September 2001, zu denen beide Seiten ihre Helden haben, sind dafür ein Paradebei- spiel.“ Die Forschung auf gemeinsame Ziele ausrichten Die Themen des SFB zeichnen sich durch eine große zeitliche, räumliche und disziplinäre Band- breite aus. Damit dennoch ein Gesamtbild entsteht, wollen die Wissenschaftler in einem Forum – unter anderem mit Arbeitsgruppen, Tagungen, Kolloquien und Work- shops – die Forschung auf gemein- same Ziele ausrichten und Syn- thesen erarbeiten. Zudem sollen die 15 Doktorandinnen und Dokto- randen in einem Graduiertenkolleg fachübergreifende Perspektiven entwickeln. Insgesamt bietet der SFB neue Forschungsstellen für mehr als 30 junge Wissenschaftler und für bis zu 40 Hilfskräfte sowie viele Lehrveranstaltungen für Stu- dierende. Die Forschungsergebnis- se werden in Form von Monogra- fien, Sammelbänden und Essays, in einem E-Journal, einer Online- Bibliografie sowie einer Enzyklopä- die veröffentlicht. Zudem sind eine Ausstellung mit dem Deutschen Li- teraturarchiv in Marbach und eine Kooperation mit zwei Freiburger Gymnasien vorgesehen. „Helden – Heroisierungen – He- roismen“ ist der erste geisteswis- senschaftliche SFB an der Albert- Ludwigs-Universität seit fast einem Jahrzehnt. Wissenschaftler aus ei- ner Vielzahl von Fächern der Phi- losophischen und Philologischen Fakultät sowie der Hochschule für Musik Karlsruhe sind daran betei- ligt. „Freiburg ist eine Universität der kurzen Wege und der unmittel- baren Kontakte“, sagt von den Hoff. „Der SFB ist ein klares Signal dafür, dass die historisch ausgerichteten Geisteswissenschaften hier extrem kooperativ forschen.“ Sonderforschungsbereich „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ Die Deutsche Forschungsge- meinschaft fördert den Sonderfor- schungsbereich (SFB) „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ in den kommenden vier Jahren mit mehr als fünf Millionen Euro. In dieser ers- ten Förderphase umfasst der SFB 18 Teilprojekte. Themen sind unter anderem heroisierte Herrscherfigu- ren der Antike, die ritterliche Kultur im Mittelalter, Wissenschaftler als Helden des 17. Jahrhunderts, die Stimme als Ausdrucksform des Heroischen in der Oper, Heldener- zählungen in populären englischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts, die Heroisierung amerikanischer Präsidenten und die Soziologie des Außergewöhnlichen. 04 2012 Helden prägen Gemeinschaften seit der Antike – warum das so ist, wollen Wissenschaftler in einem neuen Sonderforschungsbereich herausfinden Auflisten: Warum und wie werden Verträge befristet? > S. 3 Aufspüren: Welche Hürden gibt es für Behinderte? > S. 6 Ob bei Herrschern wie Napoleon, Halbgöttern wie Herakles oder Heiligen wie Jeanne d’Arc: Wissenschaftler untersuchen, wie Gemeinschaften ihre Helden hervorbringen. Aufsammeln: Wieso lesen Menschen Pfandgut auf? > S. 5 www.sfb948.uni-freiburg.de

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