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uni'leben 06-2012

06 2012 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 6 von Nicolas Scherger Die ideale Stadt sieht aus wie ein Schachbrett: Bebaute und be- pflanzte Flächen, jeweils 100 mal 100 Meter groß, wechseln sich ab und sor- gen für ein optimales Stadtklima. Wie aber lässt sich das Klima in mitteleu- ropäischen Städten verbessern, deren Struktur nicht am Reißbrett geplant wur- de – und die aufgrund des Klimawan- dels künftig mit extremen Hitzewellen zu rechnen haben? Zu diesem Thema forscht der Meteorologe Prof. Dr. Hel- mut Mayer an der Universität Freiburg. Seine Tipps für die Stadtplanung: Die Stadtstruktur sollte so verändert werden, dass tagsüber der Hitzeeintrag reduziert wird und nachts eine stärkere Belüftung möglich ist. Dafür sorgen vor allem mehr Straßenbäume sowie größere Grün- und Wasserflächen. Die Strahlungswärme ist entscheidend Der Klimawandel hat Mayer zufolge zwei Erscheinungsformen: langfristige Trends, etwa ein Anstieg der boden- nahen Lufttemperatur und weniger Re- gen im Sommer, sowie eine Zunahme von extremen Wetterereignissen wie Starkniederschlägen, Stürmen und Hit- zewellen. In Mitteleuropa werde vor al- lem die Hitze zum Problem: Hohe Luft- temperaturwerte wie im Rekordsommer 2003 würden spätestens ab der Jahr- hundertmitte fast jedes Jahr auftreten, alle sieben bis acht Jahre seien sogar noch stärkere Hitzewellen zu erwarten. Bei der 9. Deutschen Klimatagung im Oktober 2012 an der Universität Frei- burg war das Stadtklima deshalb ein Schwerpunktthema. Aber was ist eigentlich Hitze, und wann wird sie zum Risiko für die Ge- sundheit? Die Lufttemperatur ist nur eine von mehreren Einflussgrößen – neben Windgeschwindigkeit, Luft- feuchtigkeit und der Strahlungswär- me, die ein Mensch aufnimmt. Was die Strahlungswärme ausmacht, zeigt ein Beispiel aus Freiburg: Mayer hat an einem Sommertag zur Mittagszeit an Standorten in der Sonne und unter einer Baumkrone nachgemessen. Im Schatten war die Lufttemperatur nicht einmal zwei Grad Celsius niedriger, bei der Strahlungswärme betrug der Unterschied jedoch bis zu 37,6 Grad. „Lokaler Hitzestress lässt sich über die Schattenwirkung von Bäumen nachhal- tig reduzieren“, sagt der Meteorologe. Ideal seien Laubbäume mit breiten Kro- nen, die Trockenheit aushalten – etwa Ginkgobäume oder Platanen. Lokaler Backofen in Freiburg Neu an Mayers Forschung ist, dass er den Nutzen von Bäumen für das Stadtklima in Zahlen fassen kann. Er hofft, dass solche Befunde für die lang- fristige Stadtplanung in Deutschland künftig eine größere Rolle spielen als bisher. Denn derzeit seien eher Kon- zepte gefragt, die auf eine städtebau- liche Verdichtung setzen, um den Flä- chenverbrauch einzudämmen. Doch was ökologisch sinnvoll erscheine, wirke sich bei Hitzewellen negativ aus: Eine dichtere Bebauung lasse weniger Platz für Schatten spendende Bäume und erschwere die Belüftung. „Damit nachts Luftströme die Stadt durchflie- ßen und für Kühlung sorgen können, sollten Luftleitbahnen freigehalten wer- den – mindestens 50 Meter breit, 500 Meter lang und möglichst gerade, weil jeder Knick die Wirkung reduziert.“ Mayers Fazit lautet: „Wir müssten schon jetzt die Städte besser auf den Klimawandel vorbereiten.“ Freiburg, lobt er, habe seit knapp einem Jahrzehnt ein stadtklimatisches Gesamtkonzept. Dass aber auf dem Platz der Alten Synagoge zwischen Stadttheater und Kollegiengebäude II bald die Grünflä- chen verschwinden sollen, lehnt er ab. „Wenn der Platz versiegelt wird, ent- steht ein lokaler Backofen.“ Das Bei- spiel veranschauliche, dass zwar die wissenschaftlichen Grundlagen für den klimagerechten Umbau von Städten ge- schaffen seien, es jedoch bei der Stadt- planung eine Vielzahl von Faktoren gebe, die gegeneinander abzuwägen seien. „Stadtklimatische Maßnahmen, die erst in einigen Jahrzehnten wirk- sam werden, sind politisch oft schwer durchsetzbar.“ Bäume gegen Hitzestress Der Meteorologe Helmut Mayer untersucht, wie die Stadtplanung in Mitteleuropa auf den Klimawandel reagieren kann Grüner Sonnenschutz: Bäume reduzieren den Hitzestress für Stadtbewohner – hier ein Beispiel aus dem Stadtteil Herdern. von Rimma Gerenstein Und sie bewegt sich doch“, soll er gemurmelt haben, nachdem ihn die Kardinäle in der römischen Basili- ka Santa Maria sopra Minerva schul- dig gesprochen hatten. Als Ketzer verurteilt, bleibt Galileo Galilei seinen astronomischen Beobachtungen und mathematischen Berechnungen treu: Die Erde dreht sich um die Sonne und nicht umgekehrt, behauptet der Gelehrte – und geht als mutiger Wis- senschaftler, der sich einer rückwärts- gewandten Autorität widersetzt, in die Geschichte ein. Doch diese Geschichte stammt aus dem 19. Jahrhundert. Sie entstand 300 Jahre nach der histori- schen Verhandlung. „Galileo war kein reiner Widerstandskämpfer – und seine Richter längst nicht so beschränkt, wie die Legende es darstellt“, sagt Stephan Packard. Der Freiburger Juniorprofes- sor für Medienkulturwissenschaft hat den Fall untersucht: Wie kommuni- zierten die Beteiligten miteinander? Worüber stritten sie? Und wer wollte eigentlich wem was verbieten? Ob Gesetzestexte, wissenschaftli- che Abhandlungen, Prozessakten oder Zeitungsartikel: Der Forscher analy- siert Diskurse über Kontrolle in unter- schiedlichen Medien. Als berüchtigtste Variante der Kontrolle gilt die Zensur. „Doch was sie bedeutet, ist nach Kultur, Epoche und sozialer Zugehörigkeit un- terschiedlich. Für uns ist Zensur meist ein Kampfbegriff: Was wir Zensur nen- nen, lehnen wir damit ab.“ Trotzdem findet mediale Kontrolle statt – etwa, wenn die Bundesprüfstelle für jugend- gefährdende Medien festlegt, welche Computerspiele Gewalt verherrlichen. Auch wenn solche Entscheidungen immer von Gegnern und Befürwortern kommentiert werden: „Niemand ist ge- gen jede Art medialer Kontrolle“, erklärt Packard. Oft werde sie positiv bewertet, beispielsweise, wenn der Arbeitgeber eine Jobanwärterin nicht nach ihrer Familienplanung fragen oder eine Kran- kenversicherung die Daten ihrer Kun- den nicht veröffentlichen dürfe. Durch Zensur werde in manchen Fällen sogar Gedankengut weitergegeben: Wenn Kleriker in Schriften darlegten, warum Galileo falsch lag, wiederholten sie sei- ne Thesen – und vermittelten den Inhalt, der die Zeitgenossen interessierte. Unsichtbare Kontrolle, sichtbare Zensurinstanz Packard hat bei seiner Diskursana- lyse zweierlei festgestellt: Zum einen gebe es die Tendenz, mediale Kontrolle unsichtbar zu machen, indem sie für selbstverständlich erklärt werde. Eine Zeitungsredaktion etwa greife nicht nur in die Rechtschreibung ein, sondern könne auch über die Diktion der Artikel entscheiden. Bezeichnete ein Journa- list Ostdeutschland vor der Wiederver- einigung als „DDR“, brachte er damit eine andere politische Gesinnung zum Ausdruck als ein Journalist, der von „Zone“ sprach. „Sobald aber dieselbe Person einen Text auf Schreibfehler überprüft und Formulierungen festlegt, verschmelzen zwei unterschiedliche Ar- ten von medialer Kontrolle in derselben Instanz. Die Kontrolle wird unsichtbar, weil der Redakteur Teil der zensierten Kommunikation ist.“ Andererseits gebe es die Tendenz, die mediale Kontrolle einer Instanz zuzuordnen, die die Zen- sur von außen auferlege: Fällt die Ent- scheidung über Artikel im Ministerium statt in der Redaktion, wird die Kontrolle erkennbar politisch. „Je mehr man eine Zensur konkretisiert, sie zum Beispiel einem Amtsträger zuschreibt, desto mehr neigt man dazu, sie im Gegensatz zu einem schon vorher ablaufenden Diskurs zu definieren“, sagt Packard. Der Fall Galileo sei deshalb beson- ders aufschlussreich. Der Gelehrte stand zunächst nicht vor Gericht, weil er für das kopernikanische Weltbild plädierte. Dass sich die Erde um die Sonne drehe, behaupteten auch Geistliche. Die Kleriker warfen Ga- lileo vor, dass er die Grenzen ver- schiedener Diskurse neu definieren wolle: Die Ankläger bezogen sich auf einen Brief, den er an seinen Schü- ler Benedetto Castelli geschrieben hatte. Darin hatte er dargelegt, wie widersprüchlich die biblischen Inter- pretationen zur Bewegung der Him- melskörper waren – und deswegen vorgeschlagen, Theologen zu verbie- ten, sich zu naturwissenschaftlichen Phänomenen zu äußern. „Er machte damit selbst einen Vorschlag zur me- dialen Kontrolle, der die Theologen ausschloss“, sagt der Forscher. Die Kleriker jedoch wollten die Deutungs- hoheit behalten. Alles, was in der Bi- bel stehe, sei „in jeder Hinsicht“ wahr, entgegneten sie. Solche Differen- zen sind laut Packard das eigentlich Spannende: „Wer ist in einem Diskurs drinnen, und wer ist draußen? Wer darf welches Wissen verwalten und deswegen über ein Weltbild entschei- den? Das sind die brisanten Fragen, die Galileo mit seinem scheinbar rein naturwissenschaftlichen Vorschlag zur Diskussion gestellt hat.“ Zum Weiterlesen In der Online-Zeitschrift „Mediale Kontrolle unter Beobachtung“, die Stephan Packard herausgibt, infor- mieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Beiträgen über aktuelle Entwicklungen: In dem Portal „Freiburger Kontroll- analysen“ sind studentische Projekte nachzulesen: „Galileo Galilei vor dem Heiligen Officium im Vatikan“: So stellt der französische Maler Joseph-Nicolas Robert-Fleury im 19. Jahrhundert den Prozess gegen den Gelehrten dar. Quelle: Lessing Photo Archive Der Streit um drinnen und draußen Stephan Packard erforscht Formen medialer Kontrolle und erklärt, warum Zensur manchmal sogar Gedankengut hervorbringen kann, statt es auszulöschen www.medialekontrolle.de www.freiburgerkontrollanalysen.de forschen

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