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uni'leben 03-2013

03 2013 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 10 menschen von Thomas Goebel Das Gebäude, in dem Aniela Knob- lichs Büro liegt, hat neulich eine automatische Eingangstür bekommen. „Ein kleiner Schritt in Richtung Barrie- refreiheit“, sagt Knoblich. Seit Dezem- ber 2012 ist sie Leiterin der Stabsstelle „Gender and Diversity“ – der „strate- gischen Steuerungseinrichtung für Gleichstellungs- und Vielfaltsfragen“, wie es auf der Homepage heißt. Das klingt ziemlich abstrakt. Allerdings nicht, wenn Aniela Knoblich redet: Die 35-jährige Literaturwissenschaftlerin ist begeistert von ihrem Job. Das Kon- zept Diversity, also Vielfalt, bedeutet grundsätzlich, Verschiedenheit als Be- reicherung zu sehen. „Konkret ist da manchmal mit relativ wenig Aufwand viel zu erreichen“, sagt sie. Mit der automatischen Tür zum Beispiel, die es einem Rollstuhlfahrer ermöglicht, ohne riesigen Aufwand in ein Gebäude zu gelangen. Oder mit Kontraststreifen auf Treppenstufen, die einer schlecht sehenden Studentin Orientierung ge- ben. „Unser Ziel ist es, umfassend dafür zu sensibilisieren, dass wir universitäts- weit schon jetzt sehr divers sind – aber durch unbewusste Mechanismen auch noch manches ausschließen, das eine Bereicherung wäre.“ Diskriminierungen ausschließen Knoblichs Arbeit orientiert sich an den sechs Dimensionen, die das All- gemeine Gleichbehandlungsgesetz nennt: Neben Behinderungen sind das Geschlecht, Alter, Religion oder Welt- anschauung, Herkunft und sexuelle Orientierung. „Zum einen sollen Diskri- minierungen ausgeschlossen werden“, sagt sie. „Zum anderen wollen wir aber auch das positive Potenzial der Viel- falt nutzen.“ Dazu gehöre etwa, dass schwule oder lesbische Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter und Studierende diesen Teil ihrer Persönlichkeit nicht verstecken müssen: „Weil wir alle als Menschen zur Arbeit kommen. Es ist eine Illusion zu glauben, das Private bleibe zu Hause.“ Offenes Klima Knoblich hat in Göttingen Latein und Germanistik auf Lehramt studiert, in ihrem jetzigen Beruf ist sie Querein- steigerin. Nach dem Studium arbeitete sie eine Weile als Lektorin für Wer- beagenturen. Während des anschlie- ßenden Referendariats begann sie mit ihrer Doktorarbeit und entschied sich gegen eine Stelle als Lateinlehrerin. Stattdessen kam sie nach Freiburg, wurde zunächst Mitarbeiterin des Ger- manistikprofessors Werner Frick und landete dann im Gleichstellungsbüro der Universität, „durch Zufall und aus dem Bedürfnis heraus, eine Stelle zu finden“, sagt sie heute. „Eigentlich war ich skeptisch – und musste erst einmal dafür sensibilisiert werden, wie wichtig das Thema Gleichstellung ist.“ Bei dieser Arbeit habe sie in kur- zer Zeit so viel gelernt wie bei keiner Stelle zuvor: „Durch konkrete Fälle und allgemeine Zahlen wurde mir klar, wie viele unsichtbare Hürden es für Frauen immer noch gibt.“ Sogar ihre inzwischen abgeschlossene Doktor- arbeit, in der sie den Einfluss der An- tike auf die deutsche Gegenwartslyrik nach 1990 untersucht, veränderte sich damals: Sie nahm den Gedichtband „Niemands Frau“ der Lyrikerin Barbara Köhler mit auf, der anhand der „Odys- see“ Geschlechterkonstellationen ver- handelt. Nach zweieinhalb Jahren als Wissenschaftliche Redakteurin am Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) wechselte Knoblich Ende 2012 schließlich in die frei werdende Leitung der Stabsstelle Gender and Diversity. „Die inhaltliche Erweiterung von Gleichstellung zu Diversity finde ich sehr überzeugend“, sagt Knoblich – und betont, dass Frauenförderung dadurch nicht aufgeweicht werde. Im Gegenteil: Sie sei weiter das wichtigste Gebiet in ihrem Arbeitsfeld, weshalb der Begriff „Gender“ gesondert im Na- men der Stabsstelle auftauche. Sie profitiere aber zugleich von einem offe- nen Klima an der Universität, „das alle potenziell marginalisierten Gruppen anspricht“. Zudem sei es von Vorteil, dass die Stabsstelle in die Verwal- tungsstrukturen eingebunden sei, als Ergänzung zur weisungsunabhängigen Gleichstellungsbeauftragten. Knoblich berät das Rektorat, sie entwickelt Konzepte für Workshops, Veranstaltungen, Coachings, Weiter- bildungen – die die Verwaltung umsetzt, wenn Knoblich die Universitätsleitung davon überzeugt hat. „Viel schreiben und viel reden“, so fasst sie ihre Arbeit zusammen. Innerhalb der Strukturen ei- ner mehr als 550 Jahre alten Institution etwas zu verändern findet sie reizvoll: „Das Verhältnis von Tradition und Inno- vation war schon in meiner Doktorarbeit zentral.“ Kleine Veränderungen können viel bewirken, sagt Aniela Knoblich: Die kürz- lich installierte automatische Eingangstür in ihrem Bürogebäude ermöglicht es Rollstuhlfahrern, ohne großen Aufwand in das Haus zu gelangen. FOTO: THOMAS KUNZ Positives Potenzial derVielfalt nutzen Aniela Knoblich leitet seit einem halben Jahr die Stabsstelle „Gender and Diversity“ der Universität Freiburg von Ulla Bettge Mathematik hat für Martin Kramer nicht unbedingt mit Rechnen und Zählen zu tun. Mit Erbsen und Zahnstochern aber durchaus – wenn es darum geht zu zeigen, wie Abstrak- tes begreifbar wird. In einem seiner Bücher erklärt der 40-Jährige zum Beispiel, wie Gymnasiasten aus Erb- sen und Zahnstochern geometrische Figuren nachbauen. So verstehen die Schülerinnen und Schüler schneller, wie Körper berechnet werden. Der Theaterpädagoge und Gymnasialleh- rer für Mathematik und Physik ist seit 2012 Leiter der Abteilung für Didak- tik des Mathematischen Instituts der Universität Freiburg. Er bringt seinen zukünftigen Kolleginnen und Kollegen im Studium bei, Mathematik als span- nende Realität zu vermitteln. Für er- fahrene Lehrkräfte, die sich Inspiratio- nen für den Schulalltag holen wollen, bietet er Fortbildungen an. Mit Kreppband, Knete und Haaren Ein Beispiel aus Kramers Vorle- sung, die handlungs- und erlebnis- orientiert ist: Etwa 40 Studentinnen und Studenten bestimmen die Höhe des Mathematischen Instituts an der Eckerstraße. Zuvor haben sie das Messgerät aus einem Geodreieck, einem Haar, Kreppband und etwas Knete selbst gebaut. „Darf ich um ein Haar bitten?“, fragt ein Student scher- zend seine Kommilitonin. Im Hörsaal bleiben die Studierenden auch nicht, wenn der Strahlensatz auf dem Pro- gramm steht. Ein Dreieck um den Faktor fünf vergrößern – das passt eben nicht mehr an die Tafel. Deswe- gen zeichnen die angehenden Lehre- rinnen und Lehrer die ausgerechneten Streckenverhältnisse mit Kreide auf die Straße. Locken, nicht zwingen „Das Ziel ist, eine auftauchende Va- riable nicht als zusätzliche Schwierig- keit zu empfinden, sondern als Mög- lichkeit, als Vereinfachung, geradezu als Geschenk“, sagt Kramer. Sebas- tian Hillenbrand, Mathematikstudent im zehnten Semester und Tutor, ist begeistert von der etwas anderen Didaktik: „Das ist nie langweilige The- orie, immer praktische und anschauli- che Wirklichkeit.“ Und so soll es nach Kramers Vorstellung auch sein: „Erle- ben wird zur Grundlage des Unterrich- tens. Schüler sollen die Mathematik als spannendes Abenteuer erfahren.“ Für diese andere Art zu denken waren Martin Kramers eigene Erfah- rungen prägend. Mit 15 Jahren be- treute er Jugendgruppen und orga- nisierte viele Zeltlager. „Der Umgang mit Menschen war schon immer mein Ding.“ Das Referendariat nach dem Studium eher nicht. „Ich fühlte mich streckenweise wie ein Achtklässler behandelt. Pardon, ich meine so, wie man einen Achtklässler eigentlich nicht behandeln sollte.“ Statt zuerst auf das lernende Kind beziehungs- weise auf die werdende Lehrerper- sönlichkeit zu sehen, ging es um Lehrpläne, um „schlechten“ und „gu- ten“ Unterricht. „Letzteren wollte man mir mit dem Rotstift beibringen.“ Sei- nen Mathematikstudierenden bringt Kramer hingegen bei, andersherum vorzugehen: „Bildungspläne sind für Lernende gemacht und nicht umge- kehrt die Lernenden für die Pläne. Ein Schüler kann gar nicht zum Störfaktor werden.“ Das Studium der Theaterpädago- gik nutzt Kramer in seinem Lehrberuf. „Ich habe die Theaterpädagogik auf den Schulalltag angewandt – Schule ist Theater.“ Dort spielen der Mensch und dessen Persönlichkeitsentwick- lung die Hauptrolle. Menschen zum Lernen locken, selbstbestimmt und angstfrei: Nur so funktioniert es für den Didaktiker mit seinem bundesweit wohl einmaligen Konzept des Lern- abenteuers. Vor allem Freude, da gibt es für Kramer keinen Zweifel, ist ent- scheidend für effektiven Wissens- erwerb – und auch fürs Unterrich- ten. „Die Studierenden sollen ihren eigenen Stil entwickeln. Ein Richtig oder Falsch gibt es dabei nicht.“ Es komme darauf an, dass individuelle Lehrerpersönlichkeit und Methode zueinanderpassen. Das lernen die Studierenden unter anderem, wenn sie eine Unterrichtsstunde planen. „Im schlimmsten Fall kopieren sie aus einem Lehrbuch“, sagt Kramer. Im besten Fall bringen sie aber ihre ei- genen Ideen ein – und erklären den Schülern zum Beispiel das Prinzip der Wahrscheinlichkeitsrechnung mit einem Wett- oder einem Würfelspiel. „Ich will keine Vorschriften machen, sondern Möglichkeiten aufzeigen. Wenn es einmal so weit kommt, dass man ‚nach Kramer‘ unterrichten muss, dann verbrenne ich öffentlich meine Bücher auf dem Münsterplatz.“ Informationen und Kursangebote: Möglichkeiten aufzeigen, keine Vorschriften machen: Martin Kramer möchte, dass die Studierenden ihre eigene Lehrerpersönlichkeit ent- wickeln. FOTO: SVEN ERIK POHL Lernen als Abenteuer Martin Kramer zeigt angehenden Lehrern, wie sie Schülern Mathematik näherbringen – mit Freude und Fantasie http://home.mathematik. uni-freiburg.de/didaktik/ Um das Prinzip des Strahlensatzes zu veranschaulichen, zeichnen die Studierenden die ausgerechneten Streckenverhältnisse mit Kreide auf die Straße. FOTO: ABTEILUNG FÜR DIDAKTIK DES MATHEMATISCHEN INSTITUTS

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