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uni'leben 06-2013

06 2013 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 8 von Martin Jost Unterhalten sich ein Romanist und eine Pharmazeutin. Kein Witz. Fachübergreifendes Arbeiten ist heute für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Regel. Die Frei- burger Graduiertenkollegs der Son- derforschungsbereiche (SFB) „Helden – Heroisierungen – Heroismen“ und „Medizinische Epigenetik“ haben auf Initiative von Prof. Dr. Manfred Jung, Prof. Dr. Barbara Korte und Prof. Dr. Ralf von den Hoff einen gemeinsamen Workshop veranstaltet. Die Doktoran- dinnen und Doktoranden der beiden SFBs konnten üben, ihr jeweiliges Projekt fachfremden Kolleginnen und Kollegen vorzustellen – und zwar nicht nur ein bisschen fachfremden aus be- nachbarten Disziplinen, sondern einem Publikum vom anderen Ende des Spek- trums. Naturwissenschaften trafen auf Geisteswissenschaften. Die Pharmazeutin Inga Hoffmann promoviert im SFB „Medizinische Epi- genetik“. Das Projekt sucht nach neu- en Wegen, um Therapie und Diagnose verschiedener Krankheiten zu verbes- sern. Hoffmann arbeitet an Stoffen, die gezielt Enzyme in Zellen ausschalten sollen. Sie testet mit Experimenten, ob ein gefundener Wirkstoff auch in der lebenden Zelle wirkt. Zum Gespräch über den Workshop kommt sie ins Büro von Jakob Willis. Der Romanist forscht im SFB „Helden – Heroisierun- gen – Heroismen“ über die Konstrukti- on heroischer Figuren in der französi- schen Literatur des 17. Jahrhunderts. Willis organisiert eine Sitzgelegenheit, indem er einen Stuhl von Unterlagen und Büchern befreit. „Das sind also die berühmten Bücherstapel“, bemerkt Hoffmann, die im Labor arbeitet. Die eigene Sprache hinterfragen Es sei ihr leichtgefallen, ihre For- schung in einem allgemein verständ- lichen Vortrag im Workshop vorzu- stellen, sagt die Pharmazeutin: „Ich erkläre ohnehin oft, was ich mache, zum Beispiel Mitbewohnern oder mei- ner Familie.“ Man muss sich in der Regel nicht weit vom eigenen Fach entfernen, um nicht mehr mit dem ge- wohnten Fachjargon arbeiten zu kön- nen. So gesehen sind Wissenschaft- ler aus weiter entfernten Disziplinen eine ähnliche Zielgruppe wie die breite Öffentlichkeit. Auch die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte, etwa über die Presse, gehört zum Alltag vie- ler Forscherinnen und Forscher. Der SWR-Redakteur Martin Schneider gab im Workshop Einblicke in die „Über- setzungsarbeit“, die Journalistinnen und Journalisten leisten, um wissen- schaftliche Erkenntnisse zum Beispiel im Fernsehen darzustellen. Das Wichtigste sei Einfachheit. Vergleiche und Sprachbilder wirken besser als detailgenaue Erläuterun- gen. „Ich war überrascht, wie viele Metaphern aus der Literaturwelt Epi- genetiker benutzen“, sagt Willis. Die Naturwissenschaftler „radieren und schreiben“ im genetischen „Code“ und sprechen im übertragenen Sinn vom „Buch des Lebens“, in dem die Epige- netik das „Lesezeichen“ ist. Anderer- seits müssen Wissenschaftler aufpas- sen, dass sie die gleichen Worte nicht unterschiedlich deuten. „Am Anfang ei- ner interdisziplinären Zusammenarbeit ist es sinnvoll, sich auf gemeinsame Begriffe zu einigen“, sagt Dr. Michael Scheuermann. Der Freiburger Psy- chologe untersucht und publiziert über inter- und transdisziplinäre Forschung. „Worte wie ‚Prozess‘ oder ‚Struktur‘ können Kollegen ganz unterschiedlich verstehen – und reden dann aneinan- der vorbei.“ „Ich muss Begriffe, die ich täglich benutze, hinterfragen“, betont Willis. „Mit ‚Romantik‘ und ‚Klassik‘ verbinde ich klare Vorstellungen – mein Pub- likum nicht unbedingt.“ Unweigerlich komme auch die Frage nach dem Ziel einer Arbeit auf. „Ich fand es interes- sant, als die Sprache auf die Relevanz der jeweiligen Forschung kam“, sagt Hoffmann. „Das hat in meiner Arbeits- gruppe eine Weile gekocht.“ Die Ziele der eigenen Arbeit zu benennen soll keine Reaktion auf einen gefühlten Re- chenschaftsdruck sein, sondern ist der erste Schritt, um Außenstehenden die eigene Arbeit zu erklären. Obwohl bei- der Muttersprache Deutsch ist, unter- hielten sich die Pharmazeutin und der Romanist im Workshop auf Englisch. Auch das ist eine Anforderung, die die Realität akademischen Austauschs widerspiegeln soll. Verstehen wir uns? Zwei Graduiertenkollegs bereiten Doktoranden mit einem gemeinsamen Workshop auf fachübergreifendes Arbeiten vor von Claudia Füßler Es ist etwa 28 Meter lang, knapp zwei Meter hoch und wird doch oft übersehen: In der Wandelhalle des Kollegiengebäudes I befindet sich das Mahnmal für Freiburger Universitäts- angehörige, die Opfer des National- sozialismus wurden. Geschaffen hat es der Kölner Künstler Marcel Oden- bach. Eingeweiht wurde die Wandcol- lage 2005, 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wie ist das Mahnmal entstanden? Wie wirkt es auf Betrachterinnen und Betrachter? Ist es eine angemessene Form des Gedenkens? All das hat Rebekka Schütz inte- ressiert. Die Studentin der Kunstge- schichte hat ihre Magisterarbeit über das Mahnmal von Marcel Odenbach geschrieben. „Ich konnte gar nicht glauben, dass etwas so Naheliegen- des – zeitgenössische Kunst auf dem Gelände der Universität – noch kei- nen interessiert hat.“ Sie durchfors- tete das Internet und Bibliotheken, sichtete Archivmaterial auf der Suche nach Informationen, doch die waren rar. Die Studentin ließ sich davon nicht abschrecken und setzte nach und nach alle gefundenen Puzzletei- le zusammen. So rekonstruierte sie ein Stück Freiburger Universitätsge- schichte: vom Umgang mit der NS- Vergangenheit über das Aufkommen der Idee eines Mahnmals bis zu sei- ner Umsetzung. „Der Anstoß für eine Gedenkta- fel kam 1996 von der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammen- arbeit. Bis 2000 entwickelte sich die Idee, einen Widmungstext und die Opfernamen in einem Mahnmal zu kombinieren“, erzählt Schütz. Auf Initiative des damaligen Rektors Prof. Dr. Wolfgang Jäger richteten die Uni- versität und das Land 2003 gemein- sam einen Kunstwettbewerb aus und luden acht Künstlerinnen und Künstler ein, Entwürfe mit einem orts- und kon- textbezogenen Ansatz einzureichen. Die Jury entschied sich für den Vor- schlag von Marcel Odenbach. „Die Offenheit von Odenbachs Werk eröffnet jedem einen individuellen Zugang zum Gedenken, weil es nicht vorgibt, wie und woran man sich zu erinnern hat“, sagt Schütz. Sowohl flüchtige Betrachter könnten etwas für sich mitnehmen als auch jene, die sich Zeit ließen und genauer hinschauten. Das Mahnmal enthält viele Bilder und Texte. Odenbach sammelt gern und arrangiert historische Materialien neu. „Es gibt zwar eine alphabetische Liste mit den Namen der Opfer, doch keines davon ist auf den vielen Fotos zu se- hen“, sagt Schütz. Stattdessen finden sich Unmengen von historischen An- spielungen. Ein Foto von Odenbachs jüdischer Großtante zum Beispiel, die sich 1944 erhängte, um nicht depor- tiert zu werden. Die Rede Hitlers zur Eröffnung der „Großen deutschen Kunstausstellung“ in München steht neben den Werken „entarteter“ Kunst. Trauernde Mönche aus dem Franzis- kuszyklus des italienischen Renais- sancemalers Giotto hat Odenbach den Köpfen deutscher Autoren, Kompo- nisten und Intellektueller gegenüber- gesetzt. „Dadurch entsteht eine völlig neue Aussage: Die Mönche trauern um das Land der Dichter und Denker“, erklärt Schütz. Um all diese Feinheiten zu entde- cken, musste sie erst einmal klettern: Sie lieh sich eine Leiter vom Haus- meister aus und fotografierte das Kunstwerk Stück für Stück. „Ich habe auch mit Marcel Odenbach persönlich gesprochen. Er war sehr entgegen- kommend und hat viele Dinge bestä- tigt, die ich in den Bildern gefunden habe.“ Nachdem sie sich ein halbes Jahr lang mit dem Mahnmal und seiner Geschichte beschäftigt hat, wünscht sich Rebekka Schütz jetzt vor allem eins: Dass ab und an mal jemand ste- hen bleibt und sich die Zeit nimmt, das Kunstwerk in Ruhe zu betrachten. campus Keine Sprachschranken: Die Pharmazeutin Inga Hoffmann und der Romanist Jakob Willis lernen, wie sich der akademische Austausch zwischen Vertre- tern unterschiedlicher Disziplinen verbessern lässt. Foto: Martin Jost OffenesWerk des Gedenkens Für ihre Magisterarbeit stieg Rebekka Schütz auf eine Leiter und untersuchte ein knapp zwei Meter hohes Mahnmal im Kollegiengebäude I Rebekka Schütz wünscht sich, dass Menschen sich ein bisschen Zeit nehmen, das Mahnmal zu betrachten. Für ihre Abschlussarbeit in Kunstgeschichte hat sie sich ein halbes Jahr lang mit dem Werk beschäftigt. Foto: Thomas Kunz Fachübergreifende Forschung Sonderforschungsbereiche (SFB) sind langfristig von der Deutschen Forschungs- gemeinschaft geförderte Projekte der Grundlagenforschung. Interdisziplinarität ist Standard in SFBs. Die in ihnen behandelten Fragen sind in der Regel so grundlegend, dass sie von einer Disziplin allein nicht bearbeitet werden könnten. Derzeit sind an der Universität Freiburg zehn SFBs angesiedelt, die Fachbereiche aus fast allen Freiburger Fakultäten beinhalten.

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