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uni'leben 01-2014

01 2014 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 10 menschen von Rimma Gerenstein Schreibtisch: beladen, aber ordent- lich. Bücherregale: voll mit Tau- sendseitern, Standardwerken und Zeitschriften. Ein runder Tisch: frei für Gespräche. Und in der Ecke: ein schmales Stück Holz, das richtig Schaden anrichten könnte. Den Base- ballschläger hat Kerstin Krieglstein von ihren Doktorandinnen und Dokto- randen aus Göttingen zum Abschied geschenkt bekommen. Falls sie mal „schlagende Argumente“ benötige, erzählt die 50-Jährige, die 2007 die Professur für Anatomie in Freiburg angetreten hat. Haudrauf-Methoden – im übertragenen Sinne, versteht sich – braucht sie nicht. Ihre knapp 25-jährige Karriere beweist, dass sich diejenigen durchsetzen, die sorgfältig arbeiten und sachlich argumentieren. Und vor allem jene, die die Wissen- schaft lieben. „Für mich ist sie ein Pri- vileg.“ Ein weiteres sei der neue Job, den Krieglstein im April 2014 antritt. Für die nächsten sechs Jahre wird sie an der Medizinischen Fakultät die ers- te hauptamtliche Dekanin in der Ge- schichte der Universität Freiburg sein. Zwei Stunden in der Apotheke Die Fakultät ist in mehr als 50 Kli- niken, Institute und Abteilungen ge- gliedert, beschäftigt 126 berufene Professorinnen und Professoren, bil- det etwa 3.500 Studierende aus und hat ein Jahresbudget von knapp 100 Millionen Euro. „Sie muss sich in For- schung, Lehre und Krankenversor- gung bewähren und in einem starken Wettbewerb behaupten“, beschreibt die Anatomin die Lage. Es wurde Zeit, dass jemand diesen Riesen in Voll- zeit verwaltet und steuert, „die unter- schiedlichen Aufgaben und Anliegen genau hört und sich überlegt, wie sie miteinander zu vereinen sind“. Dass einen dieses Pensum im Nebenamt an die Grenzen des Machbaren bringt, weiß Krieglstein aus ihrer Zeit als Pro- dekanin für Struktur, Forschung und Entwicklung. „Der neue Weg ist ein Experiment, aber eins, von dem wir überzeugt sind.“ Etwas wagen, neue Bahnen ein- schlagen – davor scheut die Mutter von zwei Jugendlichen nicht zurück, auch wenn sich ihre Vita wie ein strammer Etappenmarsch auf der Zielgeraden liest: Studium, Promo- tion, Habilitation, Aufenthalte an re- nommierten Universitäten in Deutsch- land, Finnland und den USA, Preise und Auszeichnungen, mit 35 Jahren die erste Berufung zur Professorin. Ziemlich nahtlos. Diese Lesart bringt Krieglstein zum Lachen: „Mein Le- benslauf ist ein ziemlicher Zickzack.“ 1982 beginnt die gebürtige Erlange- rin ein Chemiestudium in Marburg. Die Wandelbarkeit von Stoffen, die Leh- re von Atomen und Molekülen hat sie schon als Schülerin fasziniert. Was sie damit später machen will, weiß sie nicht, doch ein Job, der sich mit Kindern und Familie vereinbaren lässt, ist ihr bereits als Studentin wichtig. „Regelmäßig be- suchten uns Vertreter aus der Industrie in den Laboren und erklärten: Chemi- ker mit Einserabschlüssen gebe es wie Sand am Meer“, erinnert sich Kriegl- stein, „Frauen im gebärfähigen Alter hätten bei Unternehmen keine Chance.“ Sie wechselt nach München und be- ginnt mit einem Studium der Pharmazie: Apothekerin, das sei doch als Mutter gut machbar. Aber das Fach langweilt sie. Ganze zwei Stunden arbeitet sie als approbierte Apothekerin. „Näher bin ich diesem Beruf nicht gekommen.“ Heute nennt sie das Intermezzo scherz- haft ihre „Arbeitslosenversicherung“. Weiße Kittel und schöne Künste Die hat Krieglstein übrigens nicht ein- lösen müssen. Nach ihrer Promotion in Pharmakologie an der Universität Gießen verbringt sie zwei Jahre an der University of California Irvine. Dort ent- deckt sie die Zellbiologie. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland forscht sich die Wissenschaftlerin zu ihrer Lei- denschaft: Ende der 1990er Jahre legt sie in Heidelberg ihre Habilitation in Anatomie vor. Bei der Lehre vom Auf- bau der Organe ist sie bis heute geblie- ben. Sie interessiert sich für die Frage, wie sich das Gehirn entwickelt und wie Nervenzellen entstehen. Gemeinsam mit ihren Arbeitsgruppen untersucht die Direktorin des Instituts für Anato- mie und Zellbiologie in ihrer aktuellen Studie die Mechanismen des Moleküls KCC2 – ein Hoffnungsträger in der Be- handlung verschiedener Erkrankun- gen des zentralen Nervensystems wie Epilepsie, Schizophrenie oder chroni- schem Schmerz. Ob sie die Arbeit im Labor vermis- sen wird, kann Krieglstein noch nicht beurteilen. „Es hängt davon ab, wie lohnenswert das Amt ist.“ Und so kon- zentriert sie sich auf die Aufgaben, die die neue Stelle mit sich bringt: Sie will den Frauenanteil an der Fakultät erhöhen – nicht dogmatisch handeln, sondern jungen Medizinerinnen For- schung und Lehre als gute Karriere- option präsentieren. Und sie will die Fakultät enger mit der Universität vernetzen, mehr Verständnis herstel- len zwischen denen, die weiße Kittel tragen, und denen, die Monografien über die schönen Künste schreiben. Vielleicht bleibt dann doch noch et- was Zeit zum Forschen. Oder ein biss- chen Muße zum Wandern. Allzu steile Etappen müssen es nicht sein: Am liebsten spaziert Krieglstein mit ihrem Mann von ihrem Haus in Wittnau zum Schönberg, zum Gerstenhalm oder nach Freiburg. von Stephanie Streif Zweifel gehören dazu. Sie irritieren erst einmal, verwirren vielleicht, bringen einen aber immer ein Stück- chen weiter. Wolfgang Freitag erinnert sich noch gut daran, wie er als Student erst einmal gegen die Philosophie an- studierte, weil er daran zweifelte, mit diesem Fach eine Zukunft zu haben. Also schrieb er sich an der Universität Konstanz für Geschichte, Politik und Mathe ein. Erst drei, vier Semester später belegte er Kurse in Philosophie und wechselte schließlich ganz. Nach mehreren Auslandssemestern in Liver- pool/England und Austin/USA machte er seinen Abschluss in Philosophie an der Universität Oxford/England. Sein Interesse an Philosophie sei einfach zu stark gewesen, sagt er. Heute ist der 42-Jährige am University College Frei- burg (UCF) Inhaber der neu geschaf- fenen Professur für Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Und verdient sein Geld mit der Philosophie. Chaos im Außen, Klarheit im Innern Auch wenn Freitags Zweifel im Rückblick unbegründet waren, haben sie ihn auch zu dem gemacht, was er heute ist. Seine ersten Studienjahre beschreibt er als „akademisch ori- entierungslos“. „In den Massenunis der 1990er Jahre ging es ungeregelt zu. Man war auf sich gestellt, und ich musste mir als Kind zweier Nichtaka- demiker die universitäre Bildungsland- schaft erst einmal erschließen.“ Gut möglich, dass das Chaos im Außen für Klarheit im Innern sorgte. Irgendwann sei er nur noch seinem Interesse ge- folgt, und das konsequent und zielstre- big. Die Magisterstudiengänge in Kon- stanz hat er niemals abgeschlossen. Zu verlockend sei das Angebot gewe- sen, schnellstmöglich nach Oxford zu wechseln, „weil dort die Philosophie Ludwig Wittgensteins im Zentrum des Interesses stand, was ich damals enorm spannend fand“. Mit dem Ab- schluss ging Freitag 2001 zurück nach Konstanz, wo er über Metaphysik und Sprachphilosophie promoviert wur- de. Im Anschluss an seine Habilitation über die Frage des Skeptizismus ver- trat er 2011 eine Assistenzprofessur für theoretische Philosophie an der Universität Bern/Schweiz und ab 2012 einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität Heidelberg. 2013 wurde Freitag ans UCF berufen. Bessere Wissenschaft durch Reflexion Neuerdings wird am UCF also auch philosophiert. Aber nicht irgendwie. Theoriebildung sei kein Selbstzweck, so Freitag, sondern diene der Analyse und der Lösung von Problemen. Was er den Studierenden beibringen will, passt daher zum UCF, an dem prob- lemorientiertes Nachfragen Teil des fächerübergreifenden Gesamtkonzepts ist: Argumentationsmuster aufzeigen, Fehlschlüsse entlarven und Wissen nicht einfach übernehmen, sondern es samt seines strukturellen Unter- baus mit begrifflicher und analytischer Klarheit hinterfragen. All dies steht genauso auf dem Lehrplan wie Wis- senschafts- und Erkenntnistheorie. Wissen ist für Freitag nicht selbstver- ständlich: „Nur weil Wissenschaftle- rinnen und Wissenschaftler überzeugt sind, dass das, was sie zu wissen ver- meinen, richtig ist, müssen sie noch lange nicht recht haben.“ Weil der Wis- sensprozess sich permanent fortsetze, müsse das System dahinter, Wissens- bedingungen und Methoden inklusive, akribisch durchleuchtet werden. Ohne Zweifel komme die Wissenschaft nicht aus, Skepsis sei immer angebracht. Doch sie steuere nicht in eine haltlose Unsicherheit: Die richtige Form des Zweifelns führe nicht zur Negation der Wissenschaft, sondern – in kritischer Reflexion – zu mehr und besserer Wis- senschaft. Woran Freitag allerdings nicht zwei- felt, ist seine Stelle am UCF, das viel zu jung für fest zementierte Struktu- ren ist: „Ich finde es enorm spannend, in einer Institution zu arbeiten, die noch zusammen mit ihren Studien- gängen wächst.“ Und an der sowohl strukturell als auch inhaltlich ausrei- chend Raum zum Ausprobieren und Gestalten ist – trotz der Verschulung von Bildungsangeboten infolge der als „Bologna-Prozess“ bekannten Hoch- schulreform. Seit Bologna sei sicher nicht alles besser, aber vieles, findet Freitag: „Es gibt mehr Struktur, mehr Orientierung. Wir am UCF haben jetzt zudem die Möglichkeit, die fachliche und bisweilen kulturelle Enge der Ba- chelorstudiengänge aufzubrechen und durch wissenstheoretische Reflexion zu ergänzen.“ Wolfgang Freitag bringt Studierenden am University College Freiburg bei, ver- meintlich gesichertes Wissen auf den Prüfstand zu stellen. Foto: Thomas Kunz Zweifeln will gelernt sein Wolfgang Freitag ist erster Inhaber der Professur für Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie am University College Freiburg Zur Leidenschaft geforscht: Kerstin Krieglstein studierte zuerst Chemie, dann Pharmazie und gelangte über die Zellbiologie zur Anatomie – ihrem heutigen Arbeitsgebiet. Foto: Thomas Kunz Im Zickzack zur Zielgeraden Kerstin Krieglstein leitet ab April 2014 als erste hauptamtliche Dekanin die Medizinische Fakultät

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