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uni'leben 03-2013

Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de von Jürgen Schickinger Fuchs, du hast die Gans gestoh- len? „Er schnappt sich schon mal einen Schuh von der Terras- se oder ein Kaninchen im Garten“, sagt Geva Peerenboom. Die Forst- wirtin und der Vogelkundler Dr. Ger- not Segelbacher von der Abteilung Wildtierökologie und Wildtierma- nagement der Universität Freiburg beschäftigen sich mit ungezähmten Mitbürgern – Vierbeinern und Vö- geln, die sich in Ortschaften breit- machen. Peerenboom untersucht, welche Konflikte die wilden Nach- barn verursachen. Vor dem Fuchs zum Beispiel fürchten sich viele Städterinnen und Städter. Das hat Peerenbooms Bestandsaufnahme der „Wildtiere in den Siedlungsräu- menBaden-Württembergs“ergeben. Menschen erwarten, dass Wild- tiere fliehen, sobald Zweibeiner auftauchen. „In Siedlungsräumen verlieren aber gerade Füchse und Dachse oft ihre natürliche Scheu“, erklärt Peerenboom. Statt Reißaus zu nehmen, gucken sie womöglich nur neugierig. Da ist etwas faul, argwöhnt der Stadtmensch: Sind nicht tollwütige Tiere ungewöhn- lich zahm? „Tollwut ist bei uns aus- gerottet“, beruhigt die Forstwirtin. Die Gefahr einer Fuchsbandwurm- Infektion sei sehr gering. Jährlich fangen sich nur etwa 30 Personen in ganz Deutschland eine solche Infektion ein – am häufigsten Jä- ger, Landwirte und Hundehalter. Füchse, aber auch Hunde und Kat- zen können die Parasiten übertra- gen, weil sie Mäuse jagen. Frei- landfüchse sind eher belastet als der urbane Fuchs, der sich zivili- sierter ernährt. „In der Stadt frisst er auch mal einen Döner“, sagt Peerenboom. Zudem legt Schlau- fuchs Reineke seine Bauten auf weniger konfliktträchtige Weise an als Meister Grimbart: Dachse buddeln gerne unter Garagen und Gartenhäuschen, wodurch diese mitunter in gefährliche Schieflage geraten. Außerdem scharren sie sich Kuhlen als Toiletten, die einen strengen Geruch verbreiten. Entfernen, aber nicht töten Füchse als Nachbarn hält Peerenboom für ziemlich harm- los. „Allgemein sind Wildtiere in Siedlungsgebieten aber ein The- ma, das immer mehr brennt“, be- tont sie. Natürliche Lebensräume schrumpfen ständig, Wildtiere müssen sich neue erschließen. Ortschaften gelten jedoch als „befriedete Gebiete“: Laut Gesetz ruht hier die Jagd, sodass bei Störungen durch Wildtiere un- klare Zuständigkeiten herrschen. „Bitte entfernen, aber nicht töten“, wünschen die meisten Betroffe- nen. Sie müssen Anträge bei der Unteren Jagdbehörde stellen und für die fachgerechte Entfernung bezahlen. Das kann teuer werden. Obendrein zieht derselbe Unru- hestifter nach kurzer Zeit häufig wieder ein – oder ein anderer. Da- rum finden sich viele Menschen mit tierischen Nachbarn ab oder versuchen selbst, sie zu vertrei- ben. Manche installieren Lampen oder Bewegungsmelder, die an ein lärmendes Gerät gekoppelt sind. „An so etwas gewöhnen sich Wild- tiere schnell“, sagt Peerenboom. Sie rät dazu, zuerst alle offenen Nahrungsquellen zu beseitigen: „Katzenfutter sollte nie auf der Terrasse stehen.“ Hilfreich sei es auch, Komposthaufen unzugäng- lich zu machen, denn dort tummele sich sonst gerne „Fuchsfutter“ – typische Beutetiere wie etwa Mäu- se. Steinmarder hält auf Dauer nur fern, wer alle Schlupflöcher zum Dachboden abdichtet. Peerenboom hat Tipps für zahl- reiche weitere Situationen parat. Um die aktuelle Konfliktlage zu überblicken, hat sie Interviews ge- führt, Fragebögen an Fachleute verschickt und ausgewertet: Die meisten Menschen befürchten Probleme mit Füchsen – meist aus Unwissen. Rang zwei belegt der Steinmarder, der Dachböden ver- wüsten kann und Autokabel an- knabbert. Dachs und Kaninchen folgen mit Abstand. Braves Federvieh „Wildvögel machen lange nicht so viele Schwierigkeiten wie Säu- getiere“, lobt der Ornithologe Ger- not Segelbacher seine Klientel. In manchen Gegenden sorgen Grau- gänse und Wasservögel für hygi- enische und gesundheitliche Pro- bleme, weil sie Parks und Ge- wässer mit Kot verschmutzen. Ansonsten verhalten sich gefie- derte Wildtiere jedoch weitge- hend unauffällig. Eine Art, die zunehmend häufiger auftritt, ist die Rostgans. Noch sieht man sie nur vereinzelt im Riesel- feld oder in Kirchzarten. „Aber ihre Zahl hat in den vergangenen zehn Jahren besonders im süd- lichen Baden-Württemberg stark zugenommen“, sagt Segelbacher. Rostgänse brüten in Gebäuden. Sie konkurrieren mit Schleiereu- len, Dohlen und Turmfalken um Nistplätze. Das beunruhigt einige Naturschützerinnen und Natur- schützer. Außerdem kann die Rost- gans, wie der Biologe versichert, „ordentlich Krach machen“. Mögliche Konflikte mit dem Fe- dervieh sind allerdings nicht sein Spezialgebiet. Segelbacher er- forscht molekularbiologische An- wendungen im Naturschutz: Wie ein Gerichtsmediziner erstellt er genetische Profile und „Fingerab- drücke“. So kann er feststellen, ob Gruppen einer Art untereinander verwandt sind und ob zwischen ihnen ein Austausch stattfindet. Auch die Größe von Populationen lässt sich abschätzen. Die Daten erlauben es dem Wissenschaft- ler, Gefahren zu erkennen und zu beurteilen, mit welchen Maßnah- men bedrohte Arten gerettet wer- den könnten. Er betreut Projekte in ganz Europa, untersucht aber auch tropische Papageien. Geva Peerenboom hingegen forscht ausschließlich heimatver- bunden. In Baden-Württembergs Ortschaften zählen die Steinmar- der zu den ältesten Wildtieren, berichtet sie. Füchse und Dachse rückten in den vergangenen Jahr- zehnten verstärkt nach. Dagegen nehme die Zahl der Wildkanin- chen momentan ab. Verhältnis- mäßig neue Zuwanderer seien die Biberratten, auch Nutrias genannt. Die aus Südamerika stammenden Nager leben an vielen Stadtge- wässern, etwa am Moosweiher. Ihre große Zahl hat Peerenboom überrascht. Schwierigkeiten ma- chen Nutrias ihres Wissens trotz- dem eher selten: „Sie sind teils ziemlich zahm und werden manch- mal auch gefüttert.“ Der Waschbär pirscht heran Die Ankunft nordamerikanischer Waschbären steht dem Breisgau noch bevor: „Sie fühlen sich in Städten pudelwohl, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie Frei- burg erreichen“, sagt Peerenboom. In die Region Stuttgart haben sich diese Neubürger bereits vorge- pirscht. Sie können Mülleimer aus- räumen, Obstbäume leer futtern und schwere Schäden unterm Dach anrichten. Da zieht wohl Einiges an Konfliktpotenzial her- auf. Die meisten Stadtmenschen finden Waschbären allerdings putzig und betrachten Wildtiere in ihrer Umgebung als Bereiche- rung. Das freut Geva Peerenboom. Schließlich besteht ihre Aufgabe darin, die Probleme abzumildern, die zwischen Menschen und Wild- tieren in Ortschaften gelegentlich auftreten – quasi artübergreifende Nachbarschaftshilfe. 03 2013 Dachse, Füchse und Rostgänse sind in Freiburg kein seltener Anblick – Forscher untersuchen, welche Konflikte zwischen Menschen und Tieren entstehen Beschichten gegen Bakterien: Oberflächen halten Keime fern > S.4 Baden im Baggersee: So ist sauberes Wasser erkennbar > S.8 Frechdachs: In Wohngebieten verlieren Tiere oft ihre natürliche Scheu – und finden dafür frisches Futter. FOTO: KLAUS ECHLE Bauen für Bildung: Studierende helfen Schülern in Ghana > S.6 Wilde Nachbarn FOTO:UNDERWATERSTAS/FOTOLIA

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