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uni'leben 02-2014

02 2014 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 10 menschen von Stephanie Streif Gegenüber dem Freiburger Gefäng- nis ragt das Physikhochhaus der Universität in den Himmel. Im ersten Stock ist die feinmechanische Werk- statt untergebracht, ein heller Raum mit massig Maschinerie und vielen Spindschränken. An den Seiten reihen sich Werkbänke, an denen Männer in Arbeitsklamotten Kleinstteile aus Me- tall bearbeiten. Und dazwischen tüftelt eine Frau: Nesrin chako Fares ist 20 Jahre alt und lässt sich in der Werkstatt zur Feinmechanikerin ausbilden. Dort ist sie eine von zwei Frauen. Zu ihren Kollegen gehören zehn Meister, sechs Facharbeiter und fünf Lehrlinge. Ob sich das komisch anfühle? „Nein, gar nicht“, sagt Fares. „Besser vielleicht als unter lauter Frauen, die sich ge- genseitig anzicken.“ Dass sie nicht der einzige weibliche Lehrling ist, findet sie trotzdem gut. Tüfteln und werkeln Seit September 2013 ist Fares an der Universität. „Ich musste einfach hierherkommen.“ Sie interessiere sich für Physik, außerdem sei die Ar- beit abwechslungsreich; spannender als in anderen Betrieben, wo immer wieder die gleichen Bauteile gefräst, gedreht und geschweißt würden. Ei- nen Werkraum weiter ist eine Wand mit Plänen und Fotos behängt. Sie zeigen, woran Fares und ihre Kolle- gen unter anderem arbeiten. Eines der bedeutendsten Projekte ist ATLAS – der bislang größte Teilchendetektor am Europäischen Kernforschungs- zentrum CerN in der Nähe von Genf/ Schweiz. Vor sechs Jahren kam Fares aus der nordirakischen Stadt Mosul nach Frei- burg. Zusammen mit ihrer Familie ist sie vor dem Krieg geflohen. Normali- tät habe es in ihrer Heimatstadt schon lange nicht mehr gegeben, erinnert sie sich. Sie habe nicht einmal regelmä- ßig die Schule besuchen können, so- dass es für sie viel nachzuholen gab. Deutsch konnte sie auch nicht. Erst be- suchte sie die Hauptschule, danach die Richard-Fehrenbach-Gewerbeschule, wo sie sich nach einem Berufsein- stiegsjahr für die zweijährige Berufs- fachschule für Metall entschied. Das klingt fast so, als hätte Fares schon immer gewusst, wo es für sie langgeht. „So klar war mir das damals nicht“, gibt sie zu. Obwohl sie schon immer gerne getüftelt und gewerkelt habe. In Mosul brachte sie die Nachmitta- ge häufig damit zu, mit ihren Cousins Spielzeugautos auseinanderzunehmen und wieder zusammenzuschrauben. Und dann war da noch ihr Onkel, ein studierter Ingenieur, der sie jedes Mal zuschauen ließ, wenn es etwas zu repa- rieren gab – mal eine alte Lampe, mal eine kaputte Maschine. Dann kam die Flucht und mit ihr jede Menge Neues. Anfangs sei sie keine gute Schülerin gewesen, erinnert sich Fares. Doch mit den Jahren wurden nicht nur ihre Noten besser, sondern auch ihre Zukunftsplä- ne konkreter, denn in der letzten Haupt- schulklasse kam der Technikunterricht. „Das machte Spaß. Ich wusste, dass ich später irgendetwas Technisches mit meinen Händen fertigen wollte.“ Ihr soziales Umfeld hat sich über ihren Berufswunsch nicht gewundert. „Meine Familie kennt mich ja“, sagt sie mit einem Schulterzucken. Und ihre Freundinnen? „Die werden halt Zahn- arzthelferinnen, Kindergärtnerinnen oder Krankenschwestern, verstehen aber, dass für mich etwas Techni- sches besser passt.“ Lange hat es nicht gedauert, bis Fares einen Aus- bildungsplatz fand. Um die zwanzig Bewerbungen hat sie geschrieben und zeitgleich verschickt. Danach be- gann das große Warten – eine Woche, zwei Wochen. Dann kam der erste Anruf: Ein Industrieunternehmen lud sie zum Vorstellungsgespräch ein. Kurz darauf meldete sich auch die Universität und fragte, ob Fares zum Probearbeiten vorbeikommen wolle. Sie wollte. Schraubstock und Schokobecher Die Ausbildung wird dreieinhalb Jah- re dauern. Angst vor zu viel Stoff hat die 20-Jährige nicht mehr. Früher in der Schule sei das manchmal der Fall gewesen. Heute freue sie sich aber auf das, was komme: „Wenn ich was Theo- retisches nicht verstehe, versuche ich das praktisch nachzuvollziehen. Das funktioniert meistens.“ Außerdem kann sie die Kollegen fragen. Und für ihre berufliche Zukunft träumt Fares davon, im Physikhochhaus bleiben zu können. „Mal sehen, was wird“, sagt sie und stellt ihren selbst gefertigten Schraub- stock aus Metall auf ihre Werkbank zu- rück – zwischen ihr Smartphone, einen Schokobecher und eine große Tube Handcreme. von Anja Biehler Heinrich Stülpnagels Finger flitzen über das Whiteboard. Ein Strich hier, ein Kreis dort. Mit zwei Burgen, die aus einer Berglandschaft ragen, veran- schaulicht der promovierte chemiker sei- ne Arbeit als Transfercoach: „Hier ist Akademien und dort Ökonomia“, sagt er und zeigt auf die zwei Bastionen. „Die beiden wissen voneinander, aber es passiert nicht viel. Warum? Weil beide Länder sich ganz unterschiedlich organisieren, nicht die gleiche Sprache sprechen und verschiedene Währungen besitzen.“ Um das zu ändern, ist Stülpnagel Ende 2013 von der Zürcher Hochschu- le für Angewandte Wissenschaften, wo er die Stabsstelle Forschung und Entwicklung leitete sowie für den Wis- sens- und Technologietransfer verant- wortlich war, an das Science Support centre (SSc) der Universität Freiburg gekommen. Er ist Teil des Teams „Gründungskultur“, das seit dem Ge- winn des bundesweiten Wettbewerbs EXIST den Unternehmergeist an der Universität stärken soll. Seine Aufgabe ist es, Forschungsprojekte aufzuspü- ren, die für die Wirtschaft lukrativ sein könnten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei Drittmittelanträgen zu unterstützen, dafür zu sorgen, dass begonnene Forschung mit Verwer- tungsmöglichkeiten gefördert wird, und Kontakte zu Expertinnen und Experten herzustellen. Botschafter und Dolmetscher Stülpnagel versteht sich als Wegbe- reiter für Anwendungen, als Brücken- bauer, Botschafter und Dolmetscher zwischen den Bastionen Wissen- schaft und Wirtschaft. „Forscherin- nen und Forscher können selten gut verkaufen. Umgekehrt wissen die Un- ternehmen kaum, was die Universität in Bezug auf Produkte oder Anwen- dungen leisten kann.“ Um den Aus- tausch zu verbessern, geht er in die Fakultäten, besucht Professorinnen und Professoren, informiert sich über aktuelle Forschungsvorhaben und er- läutert die Angebote seines Teams. Stülpnagel kann nicht nur auf das Know-how der Kolleginnen und Kol- legen im SSc zurückgreifen, sondern auch auf die Erfahrung der Berate- rinnen und Berater im Gründerbüro verweisen. Das Gründerbüro, eine Abteilung der Zentralstelle für Tech- nologietransfer (ZfT), ist die Anlauf- stelle für alle Gründungsinteressierten der Universität. Seit 1999 hat es 614 Gründungsvorhaben begleitet und 172 davon zum Erfolg geführt, insgesamt beschäftigen diese Firmen mehr als 650 Personen. Mit dem Angebot des Transfer- coachings etabliert die Universität eine neuartige Anlaufstelle für die Wissen- schaftler. Heinrich Stülpnagel berät sie bei der Frage, wie sie ihre Forschung nutzen können, und begleitet sie auf dem Weg in die Wirtschaft – von der Idee über den Projektantrag bis zur möglichen Ausgründung. Aktuell be- treut Stülpnagel sechs Projekte. Beim Aufspüren von Verwertungs- potenzial hilft dem Transfercoach sein eigener Werdegang. 1983 begann Stülpnagel mit einem chemiestudi- um in seiner Heimatstadt Freiburg. Im Studium hat er gelernt, Strukturen zu analysieren und mit viel Geduld Men- gen, Methoden und Verfahren zu ver- feinern, aber auch Stress auszuhalten und sich nicht verrückt machen zu lassen. Diese Fähigkeit hilft ihm heute vor allem dann, wenn er bei seiner Arbeit auf Unverständnis und Wider- stände trifft. Beides erlebt Stülpnagel immer wieder, weil sowohl Wissen- schaftler als auch Unternehmen im Dialog miteinander noch ungeübt sind. Salz in der Suppe Während seiner Zeit als Wissens- manager bei der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungs- anstalt hat er erfahren, dass für Qua- lität immer zwei Komponenten verant- wortlich sind: die technische und die menschliche. „Wenn das Team stimmt, kommt mehr heraus als die Summe der Einzelleistungen. Die Gruppe ermöglicht eine intensivere Zusam- menarbeit.“ Oft würden die einzelnen Teammitglieder auch neue Fähigkei- ten an sich entdecken, diese dann im Projekt entwickeln und anwenden. Wie man Experten miteinander vernetzt und zu gemeinsamer Arbeit anspornt, hat er bei der DEKRA-Akademie als Lehrgangsleiter in den Bereichen Qua- litäts- und Umweltmanagement gelernt. „Menschen zusammenzubringen ist mindestens so spannend wie Verwer- tungspotenziale aufzuspüren. Zu er- kennen, wie etwas zusammenhängt, und dazu beizutragen, dass etwas entsteht, was die Menschen brauchen, das ist das Salz in der Suppe.“ Hier „Akademien“, dort „Ökonomia“: Mit diesem Bild erklärt Heinrich Stülpnagel seine Aufgabe als Transfercoach. FOTO: THOMAS KUNZ Brückenbauer zwischen Bastionen Der Transfercoach Heinrich Stülpnagel bringt Wissenschaft und Wirtschaft zusammen Als junges Mädchen schaute Nesrin chako Fares ihrem Onkel über die Schulter, wenn er Lampen reparierte. Heute fertigt die Auszubildende an, was Freiburger Physiker für die Forschung brauchen. FOTO: THOMAS KUNZ Frau an der Maschine Nesrin Chako Fares lässt sich in der feinmechanischen Werkstatt der Universität ausbilden

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