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uni'leben 01-2015

01 201501 2015 unı leben Die Zeitung der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.leben.uni-freiburg.de 5forschen von Claudia Füßler Starke Linien auf zarten Blau- und Grüntönen. Ein Koch, der vergnügt ein Hähnchen grillt. Geometrische Formen in Schwarz-Weiß. Was sich die Deutschen in den Jahren nach dem Zweiten Welt- krieg an die Wände ihrer Wohnungen klebten, scheint auf den ersten Blick vollkommen beliebig zu sein. Doch Han- na Koch hat genauer hingeschaut. Für ihre Doktorarbeit hat sich die Freiburger Kunsthistorikerin mit dem westdeutschen Tapetendesign der 1950er Jahre beschäf- tigt und einige Entwicklungen erkannt. Gefunden hat Koch die Muster in Museumssammlungen, etwa des Deutschen Tapetenmuseums in Kas- sel, und vor allem in Werksarchiven. „Üppig ist die Auswahl nicht, ich war oft froh, wenn überhaupt etwas aus den 1950er Jahren da war. Viele Wer- ke hatten enorme Kriegsverluste und haben erst peu à peu die Arbeit wieder aufgenommen.“ Sie sah sich Tapeten in der Marburger Tapetenfabrik, in Hohenheim und im Musée du Papier Peint im elsässischen Rixheim an. Die Tapetenfabrik in Bonn-Beuel gibt es längst nicht mehr, doch dank intensiver Recherche und der Hilfsbereitschaft einiger Leute fand Koch auch dort alte Muster – in einem dunklen Keller, wo noch einige Bestände aufbewahrt wurden. Im Gegensatz zu Bildern oder Skulpturen seien Alltagsgegenstände wie Möbel oder Tapeten Stiefkinder der Kunstgeschichte. „Dabei kann man gerade hier sehr gut den Zusammen- hang zwischen bildender und ange- wandter Kunst untersuchen.“ Individualität zum kleinen Preis Mit einer individuellen Tapete setzten die Deutschen in den 1950er Jahren ein Zeichen gegen die normierenden Standards des Dritten Reichs. „Jeder hat sich sein Zuhause so gestaltet, wie er es mochte. Tapeten waren eine wun- derbare Möglichkeit, um der Individu- alität Ausdruck zu verleihen“, berich- tet Koch. Der Wandschmuck kostete im Vergleich zu Möbeln nicht viel und konnte rasch ausgetauscht werden. So wurden nicht einfach alle Wände einer Wohnung mit der gleichen Mustertape- te versehen, sondern einzelne Wände oder auch nur Wandteile prominent be- klebt, während der Rest weniger auf- fällig daherkam. Der Trend, eine Wand zum Blickfang zu machen, kam aus den USA. Das war vor allem in den damals oft sehr kleinen Wohnungen praktisch – mit einem großformatigen Motiv konn- ten Bereiche wie die Essecke im Wohn- zimmer optisch abgegrenzt werden. An den Tapeten der 1950er Jahre sind unterschiedliche gesellschaftliche Entwicklungen abzulesen. Auf vielen Tapeten, die zu Beginn des Jahrzehnts hergestellt wurden, findet man noch figu- rative Szenen mit narrativen Elementen, wie sie auch in den 1920er und 1930er Jahren die deutschen Wohnzimmer schmückten. Der Grund ist ein banaler: „Während des Krieges lagen viele Tape- tenfabriken als kriegsunwichtig brach. Als sie ihren Betrieb wieder aufnahmen, wur- den zunächst noch die alten Druckstöcke verwendet“, erklärt die Kunsthistorikerin. Nach und nach setzten sich abstrakte Motive mit klar betonten Linien durch. Der Verband der Deutschen Tapeten- industrie formulierte für seine Branche einen Bildungsauftrag und schrieb Wett- bewerbe an Kunstschulen aus. Die Idee: Mit der Tapete kommt die moderne Kunst ins Wohnzimmer. Dieser Anspruch hat Koch überrascht: „Das ist ein Zugang, der uns heute ziemlich fernliegt. Heute geht es eher ums Kommerziell-Modische. Die damaligen Produzenten wollten zwar auch verkaufen, aber mit künstlerischem Anspruch.“ Den gebe es zwar heute auch noch, allerdings fehle die eher er- zieherische Attitüde der 1950er Jahre. Die damaligen Künstlerkollektionen wa- ren oft in Pastelltönen gehalten, mitunter gab es aber auch grelle farbliche Aus- brüche. Man war experimentierfreudig, und das nicht nur bei den Mustern und Farben. Die Hersteller testeten unter- schiedliche Papierstärken. Beliebt waren Prägestrukturen und flächige Strukturen, wie sie zum Beispiel durch aufgespritzte Farbe zustandekommen. Ein Statussymbol war die Tapete nicht, jeder konnte sie sich leisten. So- ziale Unterschiede zeigten sich aber in der Motivwahl: „Während die Mehrheit der Deutschen den Gelsenkirchener Barock favorisierte, fanden sich ab- strakte Möbel und Tapeten vor allem in der Schicht der Besserverdiener“, fasst Koch zusammen. Obwohl sie sich monatelang mit den Mustern der 1950er-Jahre-Tapeten beschäftigte, würde die Forscherin sich keine da- von in ihre Wohnung kleben: „Mir ge- fallen die Panoramamotive aus dem 19. Jahrhundert viel besser – aber die gucke ich auch lieber im Museum als in meinem Wohnzimmer an.“ Wandschmuck in Westdeutschland Tapeten gelten als Stiefkinder der Kunstgeschichte – das will Hanna Koch mit ihrer Doktorarbeit ändern Weltuntergangsstimmung wolle er nicht verbreiten, sagt Prof. Dr. Rüdiger Glaser, geschäftsführen- der Direktor der Physischen Geo- graphie an der Universität Freiburg. „Global Change“ heißt sein groß- formatiges Buch, das mit vielen Bildern und Karten einen Überblick über aktuelle Veränderungen auf der Erde bietet. Thomas Goebel hat mit ihm über Belastungen und mögliche Lösungen gesprochen. uni’leben: Herr Glaser, Sie be- schreiben einen tief greifenden Wandel der Erde, vor allem seit den 1950er Jahren. Wie sieht das neue Gesicht unseres Planeten aus? Rüdiger Glaser: Wir Menschen be- anspruchen durch unsere Zahl und räumliche Verteilung, vor allem aber durch unsere Werthaltungen die Erde immer stärker. Historische Sprung- stellen sind der frühe Kolonialismus oder die Industrialisierung. Seit den 1950er Jahren schreitet diese Ent- wicklung durch neue Werthaltungen aber besonders dramatisch voran. Welche Haltungen meinen Sie, und was sind ihre Folgen? Ich meine die Anspruchshaltung der modernen westlichen Konsumgesell- schaft: viel Fleisch essen, Weintrau- ben im Winter, Fernreisen. Das hat dazu geführt, dass die Leistungen des Ökosystems Erde unter Druck geraten. Der Klimawandel ist inzwischen weit- hin bekannt, aber auch der Rückgang der Biodiversität und das Artensterben gehören dazu. In diesen Bereichen stehen die Zeiger schon auf Alarm. In anderen, wie beim Wasser, wird es wahrscheinlich bald so weit sein. In manchen Regionen Südostasiens und Afrikas wird die Bevölkerungszahl in den nächsten 50 Jahren stark anstei- gen. Wenn die Menschen dort ihre Werthaltungen den unseren anpassen, wonach es aussieht, wird die Bean- spruchung der Erde extrem. Bevölkerungswachstum, Wirt- schaft, Kultur: Trägt all das zum globalen Wandel der Erde bei? Ich verfolge einen systemischen Ansatz: Die Erde ist ein sozial-öko- logisches System, alles hängt mit allem zusammen. Wir vergessen an- scheinend oft, dass wir auf die Leis- tungen des Unterstützungssystems Erde angewiesen sind. Wir brauchen saubere Luft, sauberes Trinkwasser, einen produktiven Boden und weitere Ressourcen. Uns wird oft vorgegau- kelt, dass Finanzkreisläufe oder Wirt- schaftssysteme im Zentrum stünden. Das sind natürlich reale Problemfelder, aber sie sind von uns inszeniert und lenken den Blick weg von der Essenz, von der wir leben. Ich habe kürzlich in einem Freiburger Supermarkt Granny- Smith-Äpfel aus Frankreich, aus Chile und aus Neuseeland gesehen. Das sind die Absurditäten, die unser Unter- stützungssystem enorm beanspruchen. Wie unterscheiden sich die Fol- gen dieser Belastungen vor Ort? Der globale Wandel ist ein interes- santes Phänomen, weil Ursache und Wirkung nicht mehr zusammenfallen: Wir sehen heute beim Klimawandel Auswirkungen von Eingriffen, die vor 100 Jahren stattgefunden haben. Das gilt auch für die räumliche Dimension. Uns in den Mittelbreiten geht es gut, die Folgen bekommen vor allem ver- letzliche Länder zu spüren, zum Bei- spiel Bangladesch, das viel Flachland im Küsten- und Flussdeltabereich, eine hohe Bevölkerungsdichte und desaströse soziale Sicherungssys- teme hat. Sie halten einen „Kollaps des Erd- systems“ für möglich, schreiben aber auch, Sie wollten nicht „die apokalyptischen Reiter satteln“. Was schlagen Sie vor? Eine Neuorientierung der Werthal- tungen. Wir sollten uns wieder bewusst werden, dass wir das Unterstützungs- system brauchen, das uns die Erde umsonst zur Verfügung stellt. Es ist quasi eine globale Allmende: So wie Gemeinden früher gemeinschaftliche Nutzflächen hatten, die auch gemein- schaftlich bewirtschaftet wurden, müs- sen wir ein gemeinschaftliches Bewirt- schaftungssystem der Erde auf globaler Ebene schaffen. Beim Klimawandel hat man das mit dem Kyoto-Prozess ver- sucht, der leider nicht so viel gebracht hat – aber es war trotzdem der richtige Schritt. Wenn wir zentrale Ressourcen wie die Ozeane, die Atmosphäre und den Boden als globale Allmende be- greifen, müssen diese einer globalen Steuerung unterliegen, etwa unter der Hoheit der Vereinten Nationen, die für ein Ausgleichssystem im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung sorgen. Welche Schritte schlagen Sie vor? Bei der Klimakonferenz Ende 2015 in Paris müssen wir endlich mit dem Kyoto-Prozess vorankommen, den Emissionshandel verbessern und neu beleben. Ähnliche globale Ausgleichs- systeme brauchen wir auch für Luft- verschmutzung, die Zerstörung von Böden, Wäldern und Trinkwasser. Und sie müssen mit sozialen Systemen zur Sicherung von Bildung, Gesundheit und Ernährung verbunden werden. Zurück zur Essenz der Erde Rüdiger Glaser fordert, Werthaltungen zu verändern und den Planeten zu schonen Rüdiger Glaser: Gobal Change. Das neue Gesicht der Erde. Primus Verlag, Darmstadt 2014. 224 Seiten, 49,95 Euro. Die Anspruchshaltung der westlichen Konsumgesellschaft führe dazu, dass die Leistungen des Ökosystems Erde unter Druck geraten, sagt Rüdiger Glaser. FOTO: THOMAS GOEBEL Zeichen gegen normierende Standards des Dritten Reichs: Tapeten ermöglichten den Menschen im Deutschland der 1950er Jahre, ihr Zuhause individuell zu gestalten. QUELLE: RASCH-ARCHIV, TAPETENFABRIK GEBR. RASCH GMBH & CO., BRAMSCHE 012015012015

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