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uni'wissen 01-2012

zu verbrennen, machen Diäten und fühlen sich schlecht, wenn die Waage zwei Kilo mehr anzeigt. „Aber gesunde Frauen kriegen solch eine ­Gemütsverstimmung schneller in den Griff, sie beeinflusst nicht ihr ganzes Empfinden“, betont Tuschen-Caffier. „Bei essgestörten Frauen dage- gen ist das Selbstwertgefühl fragil und stark von ihren Gewichtsschwankungen abhängig. Sie ­finden keine anderen Strategien, um sich wieder besser zu fühlen.“ Bei manchen Formen der ­Magersucht zum Beispiel nehmen sich Mädchen und junge Frauen sogar verzerrt war: Im Spiegel sehen sie sich mit Hängebauch und dicken Oberschenkeln – obwohl an ihnen sogar eine Hose in Kindergröße schlottert. Körperschema­ störung nennen das die Wissenschaftler. Badeanzug und Blickbewegungsmesser Wohin blicken zum Beispiel Frauen mit Mager- sucht oder Bulimia nervosa, wenn sie sich im Spiegel betrachten? Wie verarbeiten sie diese Informationen, die ihren Körper betreffen? Das sind einige der Fragen, die die Psychologin in ­ihrer Forschung gestellt hat. Gemeinsam mit ­ihrem Team hat sie einen neuen Zugang entwickelt, um Körperschemastörungen zu untersuchen. Die Gruppe bezog sowohl dem Bewusstsein zugäng- liche als auch automatisch ablaufende, also nicht bewusste Prozesse in ihre Analyse ein. Dieser Ansatz ermöglicht eine umfassende ­Herangehensweise, die unterschiedliche Ebenen des Menschseins berücksichtigt – „auch solche, auf denen Menschen keine Antwort geben kön- nen, weil sie sich ihrer willentlichen Kontrolle entziehen“. Bei einer Studie etwa haben sich sowohl ­Magersuchtpatientinnen als auch gesunde Frauen in einem hautfarbenen Badeanzug im Spiegel betrachtet. Auf ihrem Kopf trugen sie einen Helm, an dem ein Eye Tracker befestigt war, ein Gerät, das alle Blickbewegungen aufzeichnet. Parallel dazu sollten sie alles aussprechen, was ihnen in den Kopf kam – als „lautes Denken“ bezeichnen Wissenschaftler diese Methode. Das Experiment dauerte drei Minuten – für Menschen mit einer Essstörung anstrengend genug. Das Ergebnis: Die gesunden Frauen waren beim lauten Denken nicht nur mit ihrem Körper beschäftigt. Auch ­Banalitäten des Alltags gingen ihnen durch den Kopf: „Das ist hier aber langweilig.“ „Ich muss später noch einkaufen.“ Die Gedanken der ­Magersuchtpatientinnen kreisten fast aus- schließlich um ihren Körper: „Wie hässlich ich aussehe.“ „Mein Bauch ist so dick.“ Eine Fixie- rung auf vermeintliche äußerliche Mängel bele- gen auch die Daten, die das Eye-Tracker-Gerät aufgenommen hat. „Essgestörte Frauen schauen länger und häufiger auf Körperteile, mit denen sie nicht zufrieden sind. Das sind die klassi- schen Problemzonen Bauch, Oberschenkel, Po“, fasst die Psychologin die Auswertung zusam- men. Gesunde Frauen betrachteten hingegen Körperzonen, mit denen sie zufrieden und unzu- frieden waren, gleich lang. „Das ist ein schönes Muster, genau das wollen wir in der Therapie ­erreichen.“ Lernen, sich selbst auszuhalten: Das ­beschreibt Brunna Tuschen-Caffier als ein zentrales Ziel ­einer therapeutischen Behandlung. Sie wolle ihren Patientinnen nicht „die rosarote Brille aufsetzen“, Kein Appetit: Essgestörte Patientinnen haben oft Angst vor normalen Mahlzeiten (Szene nachgestellt). Ein Ernährungstraining soll ihnen helfen, ein gesun- des Essverhalten aufzubauen. Foto: Kunz „Grundlagen- mit Therapieforschung zu verbinden, das ist für mich eine Herzensangelegenheit“ 30

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