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uni'wissen 01-2012

Rede des Achilleus im Neunten Gesang, die zum Großteil aus alten Versen besteht. Erwähnt wird die Stadt Theben – gemeinsam mit der Stadt ­Orchomenos, beide in der griechischen Land- schaft Boiotien gelegen. Dann jedoch folgen drei Verse, die sich nicht in den epischen 15-Silbler bringen lassen. Ihnen zufolge ist das ägyptische Theben gemeint, das in ionischer Zeit als beson- ders reich galt. „Ein junger Einschub in einer alten Textumgebung“, lautet Tichys Fazit. Weniger als zehn Prozent Fehlerrisiko Fünf Gesänge der Ilias hat sie bislang analy- siert. Das Resultat: Vier davon bestehen zu zwei Dritteln bis drei Vierteln aus alten Versen. Im Zehnten Gesang jedoch sind Tichy zufolge fast 80 Prozent der Verse jung. Das passt ins Bild: Es gilt als sicher, dass dieser, wohl von einem anderen Dichter, nachträglich eingefügt wurde – denn von dort wird auf andere Teile der Ilias ­verwiesen, Bezüge in der Gegenrichtung jedoch fehlen. ­Tichy hat zudem über etwa 500 wiederher­ gestellte 15-Silbler hinweg eine Zwischen­bilanz gezogen. Ein knappes Viertel blieb gegenüber Prof. Dr. Eva Tichy hat in Erlangen Indogerma- nistik, Indoiranistik, Latein und Griechisch studiert und wurde 1989 in Marburg habilitiert. Nach Stationen in Basel/Schweiz und Frank­ furt am Main wechselte sie 1993 auf den Lehrstuhl für Vergleichende Sprachwis- senschaft an der Albert- Ludwigs-Universität. Seit- dem lehrt sie in Freiburg Indogermanische Sprach- wissenschaft; bis zur Ein- stellung des Nebenfach­ studiengangs war sie auch für Allgemeine Sprachwis- senschaft zuständig. Von 1995 bis 1997 diente sie der Universität als Dekanin der damaligen Philoso­ phischen Fakultät II. Ihr Forschungsschwerpunkt lag zunächst im Griechi- schen, später im Indo­ iranischen, besonders im Vedischen. Aktuell befasst sie sich vor allem mit der sprachlichen Analyse der Ilias. Foto: S.K.U.B. Zum Weiterlesen Tichy, Eva (2011): Ilias diachronica Iota (9). www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/8282 Tichy, Eva (2010): Älter als der Hexameter? Schiffskatalog, Troerkatalog und vier Einzel- szenen der Ilias. Bremen. Tichy, Eva (2009³): Indogermanistisches Grundwissen für Studierende sprachwissen- schaftlicher Disziplinen. Bremen. dem ursprünglichen Text unverändert. „Die Hälfte erforderte leichte Veränderungen, die oft einer sprachlichen Regularisierung gleichkommen. Das sind die aussagekräftigen Fälle“, sagt Tichy. Beim restlichen knappen Drittel wagte sie stärkere Eingriffe. „Allerdings bringen meine Änderungen oft Vorteile, indem sie altbekannte Textprobleme lösen.“ Das Fehlerrisiko schätzt sie auf weniger als zehn Prozent. In der Gesamtschau lassen sich zwei Text- schichten unterscheiden. Die ältere stammt aus dem 11. bis 9. vorchristlichen Jahrhundert. Sie umfasst Material, das in der mündlichen Tradition immer wieder verwendbar war und eben deshalb überliefert wurde: Reden, Kampfszenen, andere typische Szenen wie Aufbruch, Ankunft, Bewir- tung, aber auch gern gehörte Lieder und Kurzepen. Charakteristisch für die jüngere Schicht, Homers eigene Verse, sind Partien, die die Handlung ­voranbringen oder den Aufbau strukturieren, indem sie auf vorangegangene oder folgende Passagen verweisen. „Auf einmal wird deutlich, wie Homer mit dem mündlich tradierten Material umgeht, wie eng er der epischen Tradition verhaftet ist und wo er darüber hinausgeht“, sagt Tichy. Seit 2008 ist die Indogermanistin mit der Ilias- Analyse beschäftigt. „Am Anfang konnte ich mir selbst nicht vorstellen, dass das Experiment ­gelingt und man dann einfach sieht, welche Passa- gen alt und welche jung sind.“ Ihre Ergebnisse haben das Potenzial für eine wissenschaftliche Sensation. Bislang jedoch gilt sie als Außensei- terin: Geforscht hat sie allein, Anträge auf Dritt- mittel „wären mit Sicherheit abgelehnt worden“, Reaktionen von Kolleginnen und Kollegen fallen bislang verhalten aus. Doch Eva Tichy ist über- zeugt, dass sie auf dem richtigen Weg ist. Über die restlichen 19 Gesänge der Ilias sagt sie vorläufig nichts: „Es bleibt spannend, was sich noch alles zeigt oder bestätigt. In meiner Forschung werde ich wohl nicht mehr viel anderes machen.“ ‚‚Auf einmal wird deutlich, wie Homer mit dem mündlich tradierten Material umgeht, wie eng er der epischen Tradition verhaftet ist und wo er darüber hinausgeht“ 7

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