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uni'wissen 01-2014

Marquart. Die Historiker konzentrieren sich des- wegen auf die Zeit nach 1821, das Todesjahr des Korsen. „Wir wollen herausfinden, wie politisches Heldentum als Zuschreibung einer Gesellschaft jenseits der realen Biografie des Protagonisten entsteht“, erklärt Leonhard. Wenn Napoleons Neffe Louis Bonaparte sich 1852 mit dem Namen Napoleon III. zum Kaiser krönen lasse, stifte das einen Sinn für die Gesellschaft, weil sie sich auf ein einzigartiges Individuum berufe. Will heißen: Jeder kann etwas mit der Figur Napoleon ver- binden. Deshalb eignet sie sich ideal für ver- schiedene Projektionen. Das Ergebnis sind Deutungskämpfe, ein Streit um das Vermächtnis eines Helden, der in Bildern, Büchern und politi- schen Reden ausgetragen wird. Charisma, Aura, Ausstrahlung Was also macht politisches Heldentum unter dem Deckmantel Napoleon Bonaparte aus? „Es ist eine Zusammenschau verschiedener Modelle“, berichtet Marquart. Dazu gehöre zum Beispiel, dass ein charismatisches Individuum in einer ele- mentaren Krise übermenschliche Leistungen vollbringt und die Nation rettet, etwa durch kaum vorstellbare militärische Erfolge. Von beidem kann Napoleon mehr als genug vorweisen. Er geht als genialer Kriegsherr in die Geschichte ein, als Retter der gemäßigten Französischen Revolution, der dem Volk Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sichert. Unverzichtbar für einen Helden sei jedoch eine Eigenschaft, die sich we- der messen noch beziffern lasse: Charisma, Aura, Ausstrahlung. „Ein Held ist mehr als ein Genie oder ein großer Mann“, unterstreicht Leon- hard, „mit seinem Charisma vollbringt er schein- bar Übermenschliches.“ Die übermenschliche Leistung sei aber zugleich eine Provokation, die etablierte Vorstellungen, Traditionen und Normen verletze. „Daher dauert der Streit um einen Hel- den auch meist so lange an“, sagt der Historiker. Apropos Charisma: 1851, unmittelbar nach dem Staatsstreich des Prinzen Louis Bonaparte, des Neffen Napoleons, analysiert der Philosoph Karl Marx in einer Streitschrift, wie der Aufstieg zur Macht gelingen kann. In den Auseinanderset- zungen zwischen Monarchie, Bürgertum und Proletariat sei ein Vakuum der Klassenkräfte ent- standen, das es dem Individuum ermöglicht habe, sich an die Spitze der Exekutive zu setzen. Das charismatische Individuum kann zum Selbstläu- fer werden – in Louis Bonapartes Fall sei der Auf- stieg aber eine Farce, spottet Marx. „Der Prinz tritt mit dem Versprechen an, ein neuer Napoleon zu werden“, sagt Marquart. Nur mangelt es dem Nachkommen an einer staats- männischen Aura: Er ist kein tapferer Kriegsherr, und anders als der Onkel meidet der Neffe die Schlachtfelder. Ein guter Rhetoriker ist er auch nicht; hier und da soll er bei Reden ausgelacht worden sein. Trotzdem versteht es der neue Kai- ser, das Erbe seines Onkels zu nutzen. Er greift den Heldenmythos auf und füllt ihn mit neuem Inhalt: „Louis verlagert die Kampfmetapher“, er- klärt Leonhard. „Er kämpft nicht mehr auf dem Schlachtfeld, sondern gegen die Verelendung der Massen.“ Er inszeniert sich nicht als militäri- scher, sondern als sozialer Herrscher und Frie- denskaiser, als Symbol eines neuen Frankreich, das in der Welt wirken soll und sich mit der roma- nischen Schwesternation Italien solidarisiert. Einheit im Kampf gegen den Tyrannen Während in Frankreich das Zweite Kaiserreich Napoleon zum Helden verklärt, wird der Herr- scher in Deutschland verteufelt. „Napoleon gilt als Tyrann, der Preußen 1806 unterwirft und Deutschland unterjocht“, erklärt Marquart. Dabei erfülle der Widersacher jedoch eine wichtige Rolle: Der Kaiser und die Karikatur: Napoleon III. müsse sich auf die Dame Parlamentarismus stützen, spöttelt die englische Zeitschrift „Vanity Fair“ 1869. Quellen: beide Wikimedia Commons Der Philosoph Karl Marx analysiert nach dem Staatsstreich des Prinzen Louis Bonaparte, wie der Aufstieg zur Macht gelingen kann. Ein charis- matisches Individuum kann zum Selbstläufer werden – der Erfolg Louis Bonapartes sei jedoch eine Farce. 18

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