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uni'wissen 01-2015

kompetenz zu tun, sondern sei Ausdruck ihrer Identität, wie Kleidung auch. „Es ist ein Stil, mit dem man sich positionieren kann.“ „Morphosyntaktische Reduktion in multiethno- lektaler Jugendsprache“ lautet der Titel ihrer Doktor- arbeit, die Vanessa Siegel an der Hermann Paul School of Linguistics (HPSL) schreibt. Fächer- übergreifende Forschung und ein weites internatio- nales Netzwerk gehören zu den Markenzeichen dieser gemeinsamen Graduiertenschule der Uni- versitäten Freiburg und Basel, die sich der Ausbil- dung von Doktorandinnen und Doktoranden der Linguistik und verwandter Disziplinen widmet – mit dem Ziel, die derzeit 95 betreuten Promovieren- den bestmöglich auf den Arbeitsmarkt vorzuberei- ten. Durch Brückenschläge zwischen Themen, Methoden und Forschungstraditionen entsteht ein inspirierendes Miteinander von Promovierenden, Postdocs, Professorinnen und Professoren. Siegel arbeitet für ihre Untersuchung mit empi- rischen Sprachdaten von Jugendlichen aus Stutt- gart. Die meisten der 14- bis 18-Jährigen haben einen Migrationshintergrund und sprechen neben Deutsch auch die Sprache ihrer Eltern. Aus den Interviews, die Siegel mit den jungen Leuten ge- führt hat, will sie verschiedene Dinge herausfiltern. Zunächst wertet sie statistisch aus, wie oft Artikel, Pronomen oder Präpositionen weggelassen wer- den. Anschließend untersucht sie, in welchen grammatischen und semantischen Kontexten dies passiert. Sie möchte zeigen, dass diese Auslas- sungen nicht einfach willkürlich, sondern durch- aus systematisch erfolgen. Und sie erforscht, ob dabei vielleicht auch die zweite Muttersprache eine Rolle spielt, und wenn ja, welche. Die Sprecherinnen und Sprecher, die Siegel für ihre Arbeit anonym auf Band aufgenommen hat, seien ihr inzwischen ans Herz gewachsen, sagt sie. Vor allem habe sich ihre eigene Wahrneh- mung der Jugendsprache geändert. „Am Anfang war ich auch nicht ganz frei von den Assoziatio- nen, die viele haben, die diese Sprache hören: Man denkt an Ghetto, an männlich-aggressives Gehabe, an Gewaltbereitschaft“, erzählt Siegel. Mittlerweile bringe sie den Stil längst nicht mehr damit in Verbindung, im Gegenteil: „Diese Form des Sprechens macht die Sprache der Jugendli- chen kreativ und reich, es ist eine zusätzliche Aus- drucksform, die auch Mädchen gerne nutzen.“ Vielschichtig und ständig im Wandel Sprache fasziniert Vanessa Siegel schon ihr Leben lang. Lesen gehört von jeher zu ihren größten Hobbys. Während ihres Studiums der Germanistik und Linguistik habe sie aber ge- merkt, dass die gesprochene Sprache für sie fast noch spannender sei. „Sprechen kann jeder, des- wegen interessiert sich niemand dafür, wie es ge- nau funktioniert, das passiert halt so nebenbei“, sagt Siegel. „Dabei ist unsere Sprache ein unge- heuer kreatives und dynamisches System, sie ist ständig im Wandel und dabei doch gleichzeitig so vielschichtig und komplex.“ Weil sie sich tagaus, tagein so intensiv mit Spra- che auseinandersetzt, ist Siegel eine besonders aufmerksame Zuhörerin. Im Gespräch fallen ihr De- tails auf, die sonst niemand wahrnimmt: Verwendet eine Sprecherin viele alte Worte? Merkt ein Spre- cher beim Reden, dass er den Satz nicht wie ge- plant zu Ende führen kann, und biegt ihn um, auch um den Preis, dass dann die Grammatik nicht mehr ganz stimmt? Deutet ein feiner, kaum hörbarer Zun- Comedystars wie Bülent Ceylan haben die Besonderheiten der reduzierten Sprache ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Foto: Ralph Larmann „Diese Form des Sprechens macht die Sprache der Jugendlichen kreativ und reich“ 18 Schwerpunkt:ForschungimDreiländereck uni wissen 01 2015 uni wissen 012015

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